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15.03.2023 | Mobilitätskonzepte | Schwerpunkt | Online-Artikel

Warum OEMs ihre Neuwagen nicht mehr verkaufen dürfen

verfasst von: Christiane Köllner

4:30 Min. Lesedauer

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Das traditionelle Geschäftsmodell der OEMs besteht darin, ein Fahrzeug lediglich einmal direkt als Neuwagen zu verkaufen. Was bislang gängige Praxis war, ist aber ein Hindernis für Nachhaltigkeitsstrategien. 

Derzeitige Vertriebsmodelle hemmen Recycling-Strategien, wie das Beratungsunternehmen Berylls erklärt. So würden zwar viele OEMs im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitskonzepte auf Refurbish-, Remanufacture-, Reuse- und Recycle-Strategien (R4 oder die "4Rs") setzen, was aber mit dem klassischen Vertriebsmodell der Hersteller, bei dem das Fahrzeug dauerhaft in den Besitz des Kunden übergeht, nicht kompatibel sei. Der Erfolg der OEM-Nachhaltigkeitsstrategien erscheine deshalb fragwürdig, so Berylls. Zum Ziel führe der Ansatz in der jetzigen Form nicht. 

Knackpunkt ist: Nachhaltigkeitsmaßnahmen lassen sich von den OEMs nur umsetzen, wenn sie im Besitz der Fahrzeuge bleiben. Auf verkaufte Autos haben sie keinen Zugriff. Diese fallen, inklusive wertvoller Traktionsbatterie aus dem herstellerseitigen Refurbishment, Remanufacturing, Reuse und Recycling raus. Um ihre 4R-Strategien vollumfänglich umzusetzen, müssten Hersteller ihre Vertriebsmodelle radikal ändern. So seien neue multizyklische Geschäftsmodelle wie Vehicle-as-a-Service (VaaS), bei denen das Auto im Besitz des Herstellers bleibt, nötig. Hersteller müssten lernen, Bestandsfahrzeuge über viele Jahre frisch und attraktiv zu halten, um neue Geschäftsmodelle anbieten zu können. Berylls' Fazit: OEMs dürfen ihre Neuwagen nicht mehr verkaufen. 

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Warum Autos komplett recycelt werden können und müssen

Auch die Automobilproduktion kann sich dem Thema Nachhaltigkeit nicht verschließen. Dabei ist die Branche nicht schlecht aufgestellt. Rechtliche Vorgaben sorgen schon heute dafür, dass bis zu 95 % aller Teile eines Automobils entweder wiederverwendet oder recycelt werden könnten. Mehrere Projekte von Wissenschaftlern, OEMS und Zulieferern wollen beweisen, dass auch eine vollständige Kreislaufwirtschaft möglich ist.

Industrie muss CO2-Fußabdruck und Ressourcenverbrauch reduzieren

Die ganzheitliche Betrachtung aller Wertschöpfungsstufen und ihrer Umweltauswirkungen wird für die Automobilindustrie immer wichtiger, nicht zuletzt, da der Gesetzgeber mit entsprechenden Richtlinien Grenzen setzt. Bereits an die Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen, aber auch an deren Entsorgung, werden heute strenge Nachhaltigkeits-Maßstäbe gelegt. Zusätzlich sind Lösungen notwendig, um nicht noch abhängiger von Ländern mit wertvollen Rohstoffvorkommen zu werden. "Für die Industrie bedeutet dies, dass sie ihren CO2-Fußabdruck, aber auch ihren Rohstoff- und Ressourcenverbrauch reduzieren und ihre Betriebsabläufe und ihr Geschäftsmodell nachhaltiger gestalten müssen, und nicht nur darauf ausgerichtet sein dürfen, immer mehr Autos zu verkaufen", so Berylls.

Die Hersteller reagieren, indem sie 4R-Strategien einführen, um die Langlebigkeit der Produkte zu verbessern und am Lebensende die Wiederverwendung wertvoller Materialien zu maximieren. "Bei näherer Betrachtung der bisher angekündigten Strategien wird aber deutlich,“ erläutert Heiko Weber, Partner bei Berylls, "dass sich die OEMs vor allem auf End-of-Life-Anwendungen konzentrieren. Sie haben speziell das Recycling und die Wiederverwendung von Fahrzeugen und Batteriemodulen im Fokus." Denn Recycling und Wiederverwendung seien die "2R", die derzeit am profitabelsten erscheinen.

Zugriff auf das Fahrzeug am Lebensende entscheidend

Für den Erfolg von 4R-Strategien gibt es laut Berylls jedoch eine wesentliche Voraussetzung, die bisher nicht im Fokus der OEMs stehe: Sie müssen am Ende des Lebenszyklus (nach etwa acht bis zehn Jahren) Eigentümer des Fahrzeugs sein. Nur in diesem Fall könnten sie entscheiden, was mit dem Auto und seiner Komponenten geschehen soll. "Die jetzige Situation, in der die OEMs keinen Zugriff auf Fahrzeuge am Ende ihres Nutzungszeitraums haben, stempelt die bekannten 4R-Konzepte vielfach zu leeren Versprechungen", erklärt das Beratungsunternehmen.

Die Analysten sehen in den derzeitigen Geschäftsmodelle der OEMs die Ursache dafür. Sie seien darauf ausgerichtet, das Auto im Neuzustand direkt zu verkaufen – oder aber spätestens als jungen Gebrauchtwagen, nach einem ersten Nutzungszyklus, beispielsweise als geleastes Fahrzeug. Dieses gängige Geschäftsmodell gefährde allerdings den Erfolg der angekündigten 4R-Strategien. Mit ihm würden den OEMs die erforderlichen Fahrzeuge fehlen, um die beabsichtigten Ergebnisse zu erzielen. Stattdessen sollte das Geschäftsmodell so umgestaltet werden, dass die OEMs das Fahrzeug im Rahmen eines mehrzyklischen Vehicle-as-a-Service (VaaS)-Verkaufsmodells besitzen. "Es muss ihnen gelingen die Fahrzeuge über den gesamten Lebenszyklus, an verschiedene Endkunden weiterzugeben, anstatt es lediglich einmal direkt als Neuwagen zu verkaufen", so Florian Tauschek, Associate Partner bei Berylls. Nur dann hätten die OEMs wirklich vollen Durchgriff auf alle 4R-Bausteine. Ändere sich nichts, würden externe Recycler und Wiederaufbereiter das Geschäft mit wertvollen Rohstoffen machen. Zudem werden viele Altfahrzeuge in Drittländer exportiert und dort weiter genutzt oder entsorgt, wie Frank Urbansky im Artikel Warum Autos komplett recycelt werden können und müssen (Seite 10) aus der ATZ 12-2022 erklärt.

Stellen sich die OEMs aber auf den Wandel ein, winken ihnen höhere Gewinne: Wie die Deloitte-Studie Future of Automotive Mobility zeigt, kann das Management eines Fahrzeugs über den gesamten Lebenszyklus um 50 bis 60 % rentabler sein als das aktuelle Geschäftsmodell der Hersteller mit einmaligen Verkäufen der Fahrzeuge an Kunden. Neben Mobilitätsangeboten beinhalte das Management über mehrere Zyklen beispielsweise auch Services rund um Fahrzeug und Fahrer sowie das Recycling.

Mehrzyklische Nutzung statt Verkauf

Das mehrzyklische Verkaufsmodell rückt den Fahrzeug-Zustand in den Mittelpunkt. "Er ist von entscheidender Bedeutung, damit das Fahrzeug für möglichst viele verschiedene Geschäftsmodelle verfügbar bleibt", so Berylls. Es gelte daher einen bestimmten Qualitätsstandard und damit die Attraktivität der Autos – auch über mehrere Nutzungszyklen hinweg – aufrechtzuerhalten. Dazu seien effiziente Aufbereitungsmaßnahmen nötig, mit denen sich die OEMs bisher nicht auseinandersetzen mussten, so die Analysten. Bestandsfahrzeuge "stellen also einen extrem wichtigen strategischen Enabler dar. Sowohl für Multi-Cycle-Verkaufsmodelle als auch für die ganzheitlichen 4R-Strategien der OEMs", resümiert Berylls.

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