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16.05.2024 | Wasserstoff | Im Fokus | Online-Artikel

So kann Europa seine Wasserstoff-Infrastruktur aufbauen

verfasst von: Christiane Köllner

5 Min. Lesedauer

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Eine Studie beziffert den Bedarf an Wasserstoff 2050 auf 700 TWh. Große Treiber einer Wasserstoffwirtschaft seien die Stahl- und Chemieindustrie. Wie groß die Rolle von H2 im Lkw sein wird, bleibt unsicher. 

Europa und Großbritannien sollen einen Mindestbedarf von 700 TWh Wasserstoff im Jahr 2050 haben, wie ein Whitepaper des Wasserstoff-Leitprojekts TransHyDE-Systemanalyse des BMBF, koordiniert von Fraunhofer IEG und Dechema ermittelt hat. Für ihre Analyse haben die Forscher die Nachfrage von Industrie, Haushalten und Transportsektor betrachtet. 

Nach 2030 erwarten sie erhebliche Kostensenkungen bei grünen Energieträgern, doch würden diese nicht reichen, um Niedertemperatur-, Heiz- und Prozesswärme wirtschaftlich zu erzeugen. Wasserstoff sei nur dann förderlich für die Umsetzung der Energiewende, wenn die zeitliche und räumliche Verfügbarkeit den jeweiligen Bedarfen entspreche, heißt es. Wasserstoff werde demnach vor allem bei Hochtemperatur- und energieintensiven Prozesswärmeanwendungen benötigt, sowie als Rohstoff in der Industrie und der zentralen Strom- und Fernwärmeerzeugung.

Stahl- und Chemieproduktion mit großem H2-Bedarf

Im Industriesektor seien es vor allem die Stahlerzeugung und damit verbundene Hochtemperaturprozesse, die allein mit 200 bis 300 TWh Wasserstoff-Bedarf zu Buche schlügen. Vorteil: Die Stahlindustrie benötige große Mengen klimaneutralen Wasserstoffs, könne aber auch flexibel auf Mischungen von Wasserstoff mit Erdgas umsteigen, was eine kontinuierliche Transformation unterstütze.

Auch die chemische Industrie könne eine wichtige Triebfeder für den Ausbau der europäischen Wasserstoffinfrastruktur darstellen. Denn die Produktion von grünem Ammoniak oder hochwertigen Chemikalien benötige große Mengen an Wasserstoff. "Allerdings ist es ungewiss, ob die komplette Wertschöpfungskette von Sonnen- und Windstrom über die Wasserstoffproduktion bis zur Produktion verschiedener Chemikalien in Europa realisiert werden kann. Importe von Zwischenprodukten wie grünem Methanol oder Ammoniak könnten die Nachfrage nach Wasserstoff im europäischen Industriesektor reduzieren. Daher wurden diese Sensitivitäten im Rahmen von TransHyDE betrachtet", so Co-Koordinator Mario Ragwitz, Institutsleiter am Fraunhofer IEG.

Transportwesen ist zweitwichtigster Abnehmer

Zweitwichtigster Abnehmer von Wasserstoff sei das Transportwesen, so die Forscher. "Der internationale Flug- und Schiffsverkehr ist auf synthetische Kraftstoffe, die auf Wasserstoff basieren, angewiesen. Dies erzeugt einen Wasserstoffbedarf von insgesamt 450 TWh für grüne Kraftstoffe in 2050", erklärt Co-Autor Christoph Nolden, Geschäftsbereichsleiter Netze, Energie- & Verfahrenstechnik am Fraunhofer IEG.

Größter Unsicherheitsfaktor im Transportsektor sei der Wettbewerb zwischen der direkten Elektrifizierung und dem Antrieb durch Wasserstoff per Brennstoffzelle in Schwerlast-Lkw. Verschiedene Szenarien würden laut Nolden einen zusätzlichen Bedarf von bis zu 380 TWh in 2050 zeigen, wenn 40 % der Schwerlast-Lkw mit Brennstoffzellen ausgestattet wären. Wie Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) ermittelt haben, würden sich Elektrifizierung und Wasserstoff im Gesamtenergiemix weitgehend ergänzen, während sie um einen geringen Anteil von etwa 15 % der Endenergie konkurrieren würden. Zu diesen unsicheren Segmenten gehöre unter anderem der Straßengüterverkehr (Lkw), dessen Rolle von der politischen Unterstützung, der technologischen Entwicklung und der Verfügbarkeit der Infrastruktur abhängen werde. 

Rolle der Elektrolyse wächst

Die Produktion von Wasserstoff in Europa sei darauf angewiesen, so die Forschenden, ob die ambitionierten Ziele zum Ausbau von europäischen Wind- und Solaranlagen erreicht würden. Die Rolle der Elektrolyse in der Sektorkopplung werde sich während des Markthochlaufs erheblich entwickeln, meint Co-Koordinator Florian Ausfelder, Fachbereichsleiter Energie und Klima bei der Dechema.

"Zunächst werden Elektrolyseure in Cluster integriert, um die sichere und kontinuierliche Lieferung von Wasserstoff für die industrielle Nutzung zu gewährleisten. Sobald die Wasserstoffinfrastruktur etabliert ist, können Elektrolyseure in das Netz einspeisen und gleichzeitig Flexibilität im Stromnetz bieten: So können Netzbetreiber Elektrolyseure einsetzen, um den Ausbaubedarf des Stromnetzes und damit Kosten zu reduzieren", so Ausfelder. Zu beachten bliebe: Gerade zu Beginn des Markthochlaufs könne grüner Wasserstoff fehlen, um den Bedarf zu befriedigen. Während dieser Phase müssten Alternativen wie blauer Wasserstoff den bestehenden Bedarf decken.

Umnutzung ehemaliger Erdgaspipelines

"Die Versorgungssicherheit und die Transformation in eine Wasserstoff-Wirtschaft hängen auch vom Ausbau der entsprechenden Transport- und Speicherinfrastruktur ab. Die Modellierungsergebnisse zeigen, dass ein geeignet dimensioniertes Wasserstoff-Kernnetz die Versorgung der Wasserstoff-Nachfrage bei minimalen Gesamtsystemkosten ermöglicht", so Co-Autor Tobias Fleiter, Leiter des Geschäftsfelds Nachfrageanalysen und -projektionen beim Fraunhofer ISI. Das Kernnetz könne die potentiellen Erzeuger von erneuerbaren Energien, vor allem im europäischen Norden und Süden, mit den unterirdischen Speichern und Industriezentren in Mitteleuropa verbinden.

"Die Umnutzung ehemaliger Erdgaspipelines spielt eine entscheidende Rolle in der Transformation des deutschen und europäischen Energiesystems. Die Forschungsergebnisse bestätigen, dass mit dieser Umnutzung die Versorgungsanforderungen in verschiedenen Szenarien befriedigt werden können. Importe aus Nicht-EU Ländern scheinen dann besonders wettbewerbsfähig zu sein, wenn sie an Pipelines gebunden sind", so Co-Autorin My Yen Förster von Dechema. Pipelinegebundene Einfuhren könnten über die MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika) erfolgen. Importe von Wasserstoffderivaten oder Zwischenprodukten, wie Ammoniak oder Eisenschwamm seien voraussichtlich kostengünstiger als ihre Produktion in Europa. 

Globalen Wasserstoffmarkt gestalten

Deutschland will für grünen Wasserstoff auch mit Partnern in weit entfernten Regionen zusammenarbeiten, wie das Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam erklärt. Diese Strategie könne das Tempo zwar verlangsamen, sei aber laut einem Beitrag in der Fachzeitschrift "Energie Strategy Reviews" langfristig der einzige Weg, um die Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig bedeute es, dass der Erfolg der deutschen Wasserstoffstrategie von dem Aufbau von Erzeugungskapazitäten in internationalen Partnerländern abhänge. 

"Seit 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie eingeleitet wurde, ist deshalb das Thema Wasserstoff in viele bestehende Partnerschaften integriert worden und es sind neue Partnerschaften mit einem starken Fokus auf Wasserstoffkooperationen hinzugekommen. Mit ihrer internationalen Reichweite – es gibt Beziehungen zu mehr als 50 Nicht-EU-Ländern – ist die deutsche Strategie einzigartig", sagt Erstautor Rainer Quitzow vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam. Im Vordergrund stehe das Ziel, einen globalen Wasserstoffmarkt zu gestalten, anstatt lediglich eine heimische Wasserstoffwirtschaft mit regionalen Lieferbeziehungen aufzubauen.

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