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12.10.2021 | Führungsqualität | Schwerpunkt | Online-Artikel

Manager entscheiden mit Intuition besser als mit Daten

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

7 Min. Lesedauer

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Fast alle tun es, aber kaum einer will es zugeben: Bei komplexen Entscheidungen auf die innere Stimme hören. Warum aber genau das richtig ist und was Managern noch hilft, die beste Wahl zu treffen, verrät eine Studie.

Dürfen Manager, wenn es etwa um Innovation oder Personalfragen geht, ihrer Intuition vertrauen und nach Bauchgefühl, Faustregeln sowie mit Halbwissen entscheiden? "Bloß nicht!", werden einige Stimmen sagen. Die Zeiten sind unsicher und kompliziert, wer will da Fehler riskieren. Außerdem: Die Qual der Wahl erleichtern zuhauf vorhandene intelligente Tools. Sie versprechen, aus Datensammlungen zuverlässig das beste Ergebnis zu errechnen. 

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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Der Entscheidungsprozess

Nachdem das übergeordnete Ziel einer Entscheidung definiert wurde geht es darum, nach relevanten Optionen zu recherchieren und passende Kriterien zu vergeben. Die anschließende Recherchephase nach relevanten Informationen schließt auch die Suche nach Experten und mithin nach Wissen ein. 

Was Harry Potter mit Intuition zu tun hat

Wissenschaftler wie Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam, warnen allerdings davor, sich bei drängenden Fragen allein auf die vorhersehenden Fähigkeiten von Data Analytics zu verlassen. Um qualitativ entscheiden zu können, so erläutert er im Interview mit dem Debatten-Magazin "The European", sind Algorithmen und KI auf stabile Bedingungen, also Informationen und Wissen angewiesen. Beides ist allerdings nicht immer vorhanden, weshalb es in Unternehmen zu gravierenden Fehlentscheidungen kommen kann, sobald unbekanntes Terrain betreten wird. 

Bestes Beispiel dafür liefern die Harry-Potter-Bücher. Der erste Band wurde von zwölf verschiedenen Verlagen abgelehnt, weil keine Daten einer vergleichbaren Erzählung vorlagen, die das wirtschaftliche Potenzial des Buches untermauert hätten. Der große Coup gelang schließlich dem bis dahin unbekannten Bloomsbury Verlag. Und das möglicherweise nur deshalb, weil an entscheidender Stelle jemand auf sein Baugefühl gehorcht und seinem Instinkt vertraut hatte. 

"Intuition ist nützlich in Situationen der Ungewissheit, wo die Zukunft nicht wie die Vergangenheit ist, und daher eine vollständige Analyse der Vergangenheit oder Big Data in die Irre führen kann", sagt Gigerenzer im Interview mit dem "Philosophie Magazin". An diesen Gedanken knüpft die Studie "Choosing among alternative new product development projects: The role of heuristics" der Londoner Bayes Business School (Cass) an. 

Intuition plus Heuristik als Zauberformel?

Ausgangspunkt der Forschungsarbeit, die sich auf Informationen von 122 Werbe-, Digital-, Verlags- und Software-Unternehmen stützt, ist Gigerenzers Schlussfolgerung, dass Manager bei der Entscheidungsfindung nicht nur analytische Methoden anwenden. Sie verlassen sich außerdem auf ihre Intuition und leicht anwendbare Heuristiken (Gigerenzer & Gaissmaier, 2011). Die Studienautoren wollten wissen, wie Manager zwischen Innovationsprojekten entscheiden und wie sie sich dann von analytischen oder nicht-analytischen Methoden unterstützen lassen. 

Zu Auswahl standen Big-Data-Analysen, einfache Heuristiken und die Intuition. Ergänzend wurde bewertet, wie sich in solchen Situationen das individuelle Engagement und die Gewohnheiten der Manager auf die Geschwindigkeit ihrer Entscheidungsfindung und die Genauigkeit der Ergebnisse auswirken.

Beliebteste Instrumente der Entscheidungsfindung, entweder allein oder kombiniert angewendet, sind laut Studie:

  • take-the-best-Heuristik,
  • Tallying-Heuristik,
  • Intuition,
  • analytische Prozesse.

Wenige entscheiden ausschließlich intuitiv

Die Auswertung zeigt zunächst, dass Manager nur selten Entscheidungen treffen, die ausschließlich analytisch oder nur aus dem Bauch heraus getroffen werden. Fast immer spielen Heuristiken eine begleitende Rolle. Aus gutem Grund, wie die Studie belegt. Denn Manager, die sich bei Entscheidungen auf einfache Heuristiken oder eine Kombination aus Instinkt und Heuristik verlassen, treffen genauso gute Entscheidungen, wie Manager, die Datenanalysen verwenden. Aber: Erste kommen deutlich schneller zu guten Ergebnissen. Die aus den Forschungsergebnissen abgeleiteten Denkanstöße und Implikationen für die Entscheidungsfindung an der Innovationsfront lauten zusammengefasst:

  • "Manager, die sich auf Heuristiken stützen, können Entscheidungen treffen, die genauso genau sind, wie wenn sie sich auf datenanalytische Prozesse stützen, um ihre Entscheidungen zu treffen."
  • "Außerdem können sie dies viel schneller tun."
  • "Manager können ihrem Bauchgefühl vertrauen, solange sie es mit einfachen Heuristiken kombinieren."
  • "Es ist jedoch erwähnenswert, dass einige Studien darauf hindeuten, dass die Wirksamkeit der Intuition im Vergleich zur Analyse vom Fachwissen abhängt."
  • "Daher sind Manager mit begrenztem Fachwissen möglicherweise besser dran, wenn sie sich nur auf Heuristiken verlassen, anstatt diese mit Intuition zu kombinieren."
  • die Ergebnisse deuten darauf hin, "dass in Situationen, in denen sowohl die wahrgenommene Genauigkeit als auch die Schnelligkeit von Entscheidungen wichtig sind, das Vertrauen auf Instinkte oder Heuristiken oder eine Kombination aus beidem einen optimalen Entscheidungsansatz darstellen kann."

Wann Entscheidungen ins Paradoxon münden

Was macht die Aufgabe entscheiden zu müssen eigentlich so schwierig und auf Dauer auch belastend? Manager, die zwischen Innovationsprojekten wählen müssen, deren Daumen-Hoch oder Daumen-Runter folgenreich ist, geraten in kritische bis unüberschaubare Situationen, wenn sie vorliegende Projekte nicht mit Erfahrungen aus der Vergangenheit vergleichen können. Die Rede ist dann von non-programmed-decisions, wie die Springer Autoren Andreas Nachbagauer, Iris Schirl-Böck und Edgar Weiss in Pläne, Entscheidungen und Heuristiken beschreiben. 

Es fehlt an Informationen oder Methoden, mit denen spärlich vorhandene Daten zu einer belastbaren Entscheidung geführt werden können. Entscheider geraten dann an die Grenzen ihrer Rationalität (bounded rationality). Ihre Entscheidungsergebnisse werden beeinträchtigt (Seite 155) und sie verfangen sich in einem sogenannten Entscheidunsparadoxon: "Je wichtiger eine Entscheidung ist, desto höher ist tendenziell ihre Komplexität und desto weniger rational kann das Entscheiden sein. Planung wird also zumeist gerade dann unmöglich, wenn sie dringend erforderlich wäre" (Seite 159). 

Grenzen der Leistungsfähigkeit, die sich auf die Entscheidungsfindung auswirken sind (Seite 155):

  • Grenzen der Fertigkeiten, Gewohnheiten, Reflexe und Denkfähigkeit.
  • Grenzen, die durch Werte und Zielvorstellungen des Individuums gegeben sind.
  • Grenzen der Informationsverarbeitung. Dieser Punkt kann weiter aufgegliedert werden in:
    • Grenzen des Wissens. Das Wissen über Bedingungen der Alternativen und über die Gesetzmäßigkeiten der Wahlhandlungen ist unvollständig.
    • Grenzen der Antizipation. Das Wissen über die Ergebnisse der Wahlhandlungen sowie die Wirkung der eigenen Entscheidung ist unvollständig, und selbst wenn die Ergebnisse einer Entscheidung bekannt wären, könnte die Bewertung des Ergebnisses kaum vorausgesehen werden.
    • Grenzen der Auswahl der Verhaltensmöglichkeiten. Das Individuum kann nicht alle möglichen Alternativen überblicken, es wird immer nur aus einem kleinen Ausschnitt an Verhaltensmöglichkeiten wählen.

Raus aus dem Paradoxon und hin zur Entscheidung

Wie können sich Entscheider aus diesem Paradoxon herausarbeiten und welche Methoden sind dabei hilfreich? Auch Springer-Autor Oliver Ahel zitiert zum Forschungsfeld "Intuition in Managemententscheidungen" Studien, die beweisen, dass "intuitive Entscheidungen, bei gleicher Ergebnisqualität mit weniger Aufwand, mehr Flexibilität und mehr Initiative bei Misserfolg" einhergehen (Seite 33). Ahel plädiert für unterstützdende Heuristiken und erklärt sie als einfache Faustregeln, deren Logik bekannt und nachvollziehbar ist und die sich durch drei Eigenschaften auszeichnen: Sie nutzen Fähigkeiten, die sich im Laufe der Evolution entwickelt haben, sie nutzen Umweltstrukturen, sie sind Prozessmodelle (Seite 33).

Die einfache Regel der oben zitierten Tallying-Heuristik lautet: Wähle die Alternative mit den meisten positiven Cues (Hinweisreizen), ohne sie vorher zu gewichten. Ahel bezeichnet sie auch als die 1/n-Regel und hält sie für besonders erfolgreich, "wenn hohe Unsicherheit vorliegt, viele verschiedene Optionen zur Auswahl stehen und wenige Daten vorliegen" (Seite 34). Braucht es dann das Bauchgefühl überhaupt noch?

Ist Intuition nur was für Top-Entscheider?

Der Mut, sich seiner Intuition zu bedienen steht offenbar in enger Relation zur Hierarchieebene. "Es wirkt also so, als biete sich die Intuition besonders für jene unspezifischen, visionären und wenig operativen Entscheidungstypen an, welche vom Top-Management von großen Unternehmen oder direkt von den Unternehmer/innen kleiner Unternehmen getroffen werden", schreibt Ahel (Seite 99). Nur zugeben will das offenbar niemand. Auf ihre Intuition vertrauen Entscheider lieber im Stillen und verraten es nicht weiter. Dabei werden der Intuition wie auch der emotionalen Intelligenz starke Effekte für den wirtschaftlichen Erfolg von Organisationen zugesprochen. 

Funktionen von Intuition im Managementkontext sind (Seite 103):

  • Problemlösung und Entscheidungsfindung
  • Umgang mit Komplexität
  • Entwicklung neuer Ideen
  • Gespür für das richtige Timing
  • Zukunftsgestaltung und Visionen
  • Beziehungsgestaltung
  • Förderung von Synergie
  • Sinn für Wesentliches

Fazit: Einfache Regeln und der selbstgewisse Umgang mit der Intuition punkten deutlich vor rationalen und analytischen Entscheidungsprozessen. Vor allem unter Zeitdruck sowie bei hoher Komplexität und Ungewissheit. Mehr Mut zum Bauchgefühl lohnt sich also allemal, denn der eigne Instinkt kann unter gewissen Voraussetzungen deutlich effektiver entscheiden als die digitale Datenanalyse. 

Übrigens vertraute bereits Charles Darwin bei der Entscheidung, Emma Wedgewood zu heiraten oder nicht, auf Cues und die Tallying-Heuristik, um sich nicht nur von seinem Freiheitsinstinkt leiten zu lassen. Den Vorteilen des Single-Daseins "kein Streit" und "keine Verwandtenbesuche" standen die Vorteile einer Ehe "jemand zum Liebhaben" und "besser als ein Hund" gegenüber. Darwin entschied sich für Emma Wedgewood und profitierte fortan hoffentlich vom erhofften "Charme von Musik und weiblichem Geplauder".

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