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Open Access 30.04.2024 | Wissenschaftliche Beiträge

Gekommen um zu bleiben: Was kann aus den Pandemieerfahrungen für die Auswirkungen und die positive Gestaltung des Arbeitens im Homeoffice gelernt werden?

verfasst von: Assoz. Univ-Prof. Dr. Joachim Gerich

Erschienen in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft

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Zusammenfassung

Forschungsresultate zu Auswirkungen des Arbeitens im Homeoffice zeigen überwiegend positive Effekte für Beschäftigte. Dennoch muss in Abhängigkeit organisationaler und personaler Randbedingungen auch mit ungünstigen Effekten gerechnet werden. Die vorliegende Studie untersucht individuelle Effekte des Arbeitens im Homeoffice bei einer Stichprobe von 743 Beschäftigten mittels Befragungsdaten, welche im Zuge der COVID-19 Pandemie erhoben wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem eine „kompensatorische“ Nutzungspraxis, bei der das Homeoffice für zusätzliche Arbeiten im Anschluss an reguläre Arbeit im Betrieb oder an Wochenenden und freien Tagen genutzt wird, mit ungünstigen Effekten wie erhöhtem Technostress, Work-Family Konflikten, geringerem psychologischem Detachment und einer erhöhten Neigung zu Präsentismus assoziiert ist. Diese Nutzungspraxis wird häufiger in Betrieben mit starker Wettbewerbsorientierung, indirekten Steuerungsformen und gering formalisierten Homeoffice-Policies angewandt. Beschäftigte mit geringer Segmentationspräferenz und hohem Bedürfnis nach Autonomie können zwar grundsätzlich stärker von positiven Effekten im Homeoffice profitieren. Durch zugleich häufigere kompensatorische Nutzungspraxis werden die positiven Effekte durch ungünstige Auswirkungen dieser Nutzungsform jedoch reduziert.
Praktische Relevanz: Durch geeignete organisatorische Rahmenbedingungen sollte eine kompensatorische Nutzung von Homeoffice verhindert werden, um negative Effekte auf die Befindlichkeit und Vereinbarkeiten zu vermeiden.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Einleitung

In bisheriger Forschung wurden überwiegend positive Auswirkungen des Arbeitens im Homeoffice für Arbeitnehmer/innen berichtet (Charalampous et al. 2018; Gajendran und Harrison 2007; Montreuil und Lippel 2003). Arbeiten im Homeoffice steht demnach mit positiven Auswirkungen hinsichtlich Gesundheit, wahrgenommener Autonomie, Produktivität, Wohlbefinden, Arbeitszufriedenheit, mit geringerem Rollenstress, geringeren Arbeitsunterbrechungen, Zeitgewinnen aufgrund des Entfalls des Arbeitsweges und geringerem Wunsch nach Jobwechsel in Verbindung. Zudem scheint auch die subjektive positive Bewertung der Arbeit im Homeoffice mit der tatsächlichen Homeoffice-Erfahrung zu zunehmen. Maruyama und Tietze (2012) verglichen beispielsweise die Erwartungen an das Arbeiten im Homeoffice von Arbeitnehmer/innen vor der Implementierung von mobil-flexiblen Arbeitsmöglichkeiten in Organisationen mit der Bewertung danach und stellten im Vergleich zu den ursprünglichen Erwartungen der Beschäftigten positivere Bewertungen auf Basis der tatsächlichen Erfahrungen fest. Dennoch wird das Ausmaß positiver Wirkungen und auch möglicher negativer Effekte von Homeoffice in Abhängigkeit personeller und organisatorischer Rahmenbedingungen gesehen. So argumentieren beispielsweise Vander Elst et al. (2017), Kowalski und Swanson (2005) oder Montreuil und Lippel (2003) auf Basis bisheriger Forschungsarbeiten, dass die Auswirkungen des Arbeitens im Homeoffice per se weder positiv noch negativ zu bewerten sind, sondern vielmehr von der Art der Implementierung und den personalen Präferenzen und Rollenverpflichtungen abhängen.
Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht daher anhand einer Stichprobe von Beschäftigten der IT-, Versicherungs- und Finanzbranche, inwiefern selbstberichtete Outcomes des Arbeitens im Homeoffice in Abhängigkeit personaler und organisatorischer Rahmenbedingungen sowie der individuellen Nutzungspraxis mobil-flexibler Arbeit und deren Wechselwirkungen stehen. Wenngleich die Bewertung des Arbeitens im Homeoffice auch von Tätigkeitsart- und konkreten Inhalten abhängt (vgl. z. B. Beenken et al. 2020), wurde der Fokus der vorliegenden Forschung auf die Untersuchung personaler und organisatorischer Rahmenbedingungen gelegt.

2 Mögliche Outcomes des Arbeitens im Homeoffice

Hinsichtlich der Effekte von Homeoffice auf die Vereinbarkeit mit familialen Rollen und Betreuungsverpflichtungen zeigen bisherige Untersuchungen teilweise widersprüchliche Ergebnisse. Obwohl mobil-flexible Arbeitsmöglichkeiten häufig gerade zur besseren Vereinbarkeit von privaten und beruflichen Verpflichtungen angeboten werden, zeigt sich zuweilen ein paradoxer Effekt, wonach diese Flexibilisierung zu einer Zunahme von Multitasking, längeren und atypischen Arbeitszeiten und erhöhtem Arbeitsstress führt, wodurch sich Work-Family Konflikte erhöhen können (Putnam et al. 2014). Felstead und Henseke (2017) argumentieren weiters, dass durch das Verschwimmen der Grenzen zwischen beruflichen und privaten Sphären im Homeoffice und die Zunahme ständiger Erreichbarkeit Work-Family Konflikte trotz erhöhter Autonomie und Flexibilität zunehmen können.
Aufgrund der stärkeren Durchlässigkeit der Grenzen zwischen privaten und beruflichen Sphären und der erhöhten Tendenz zur ständigen Erreichbarkeit im Homeoffice wird auch vermutet, dass das psychologische Detachment (Sonnentag und Fritz 2015) – d. h. die mentale Distanzierungsfähigkeit oder das mentale „Abschalten“ nach der Arbeit eingeschränkt sein kann. Psychologisches Detachment ist essentiell für die Erholungsfähigkeit nach der Arbeit und eingeschränktes Detachment ist mit erhöhten Stressreaktionen und Burnout assoziiert (Sonnentag et al. 2017). Žiedelis et al. (2022) führen an, dass ein eigenes Büro zuhause sowie intensivere Smartphone-Nutzung abends und an Wochenenden zu Arbeitszwecken mit eingeschränktem Detachment verbunden ist. Ähnlich verweisen Ghislieri et al. (2017) auf frühere Studien, welche zeigen, dass durch den Einsatz von Kommunikationstechnologie Arbeiten von Zuhause an Abenden und Wochenenden begünstigt und dadurch die mentale Distanzierung von der Erwerbstätigkeit eingeschränkt wird. Konform mit diesen Annahmen bestätigen Cheng und Zhang (2022) mangelndes Detachment als Mediator zwischen intensiver Homeoffice-Nutzung und Burnout sowie reduzierter Arbeitszufriedenheit.
Weiterhin wird in früherer Forschung die stärkere Exposition gegenüber Technostress im Homeoffice thematisiert. Dies wird einerseits mit der permanenten Erreichbarkeit durch den Einsatz von Kommunikationstechnologie, aber auch durch die stärkere Tendenz, im Homeoffice in kürzerer Zeit Anfragen zu beantworten begründet (Greer und Payne 2014; Maruyama und Tietze 2012; Hu et al. 2019). Die kürzere Reaktionszeit im Homeoffice wird auch mit einer Reaktion auf die geringere Sichtbarkeit des Arbeitsengagements für andere erklärt, weshalb Erwerbstätige im Homeoffice „signaling“-Strategien (z. B. schnelleres und häufigeres Reagieren auf E‑Mail Anfragen) anwenden, um ihr Arbeitsengagement für andere sichtbar zu machen (Fana et al. 2020; Taskin und Edwards 2007). Darüber hinaus verursachen häufig inadäquate technologische Ausstattung im Homeoffice, Kompatibilitätsprobleme zwischen betrieblichen und privaten IT-Systemen und die stärkere Angewiesenheit auf Remote-Technologien vermehrten Technostress im Homeoffice (Konradt et al. 2000; Suh und Lee 2017; Schall und Chen 2022). Dieser resultierende Technostress scheint – z. B. aufgrund von Umstellungs- oder Anpassungsproblemen – vorwiegend in Initialphasen der Telework-Implementierung aufzutreten (Konradt et al. 2000). Es kann somit angenommen werden, dass mit zunehmender individueller und organisatorischer Erfahrung im Umgang mit Homeoffice Technostress reduziert wird (Greer und Payne 2014).
Bisherige Forschung zeigt auch Anhaltspunkte dafür, dass das Arbeiten im Homeoffice Präsentismus begünstigen kann. Präsentismus bezeichnet die Fortführung der Erwerbstätigkeit trotz einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, welche Krankenstand rechtfertigen würde (Ruhle et al. 2020). Steidelmüller et al. (2020) zeigten anhand von Daten des European Working Conditions Survey aus der pre-COVID Era, dass Arbeit im Homeoffice mit erhöhter Präsentismus-Neigung assoziiert ist. Die Ergebnisse zeigten sich robust hinsichtlich der 35 einbezogenen europäischen Länder wie auch nach Berücksichtigung zahlreicher Kontrollvariablen. Der Zusammenhang reduzierte sich jedoch unter der Berücksichtigung von Arbeiten in der Freizeit als Kontrollvariable deutlich. Die Autorinnen schlussfolgern daraus, dass die höhere Tendenz zu Präsentismus im Homeoffice möglicherweise eine Form interessierter Selbstgefährdung (Dettmers et al. 2016) darstellt. Demnach erfolgt bei Arbeitnehmer/innen mit mobil-flexiblen Arbeitsformen häufig statt einer direkten Kontrolle der Arbeitsausführung eine indirekte Steuerung über zu erreichende Arbeitsziele. Diese indirekte Zielsteuerung begünstigt – so die Annahme – Tendenzen von Arbeitnehmer/innen, die Erreichung von festgesetzten Arbeitszielen gegenüber gesundheitlichen Abwägungen zu priorisieren. Yamashita et al. (2022) bestätigten ebenfalls auf Basis einer Querschnittserhebung von Arbeitnehmer/innen in Japan während der COVID-19 Pandemie, dass Arbeiten im Homeoffice mit einer höheren Präsentismusfrequenz verbunden ist.

3 Modalitäten der Nutzungspraxis von Homeoffice

Homeoffice wurde während der Lockdowns als Reaktion auf das Infektionsgeschehen im Zuge der COVID-19 Pandemie wohl häufig in Form einer vollständigen Verlegung von Tätigkeiten vom Betriebsstandort in den häuslichen Bereich praktiziert. Dennoch muss von Mischformen der Nutzungspraxis ausgegangen werden (beispielsweise wurden auch wiederholt Lockdown-Phasen von Zeiten gelockerter Maßnahmen abgelöst). So argumentieren Cheng und Zhang (2022), dass eine simple binäre Fassung des Arbeitens im Homeoffice (Nutzer/innen versus nicht-Nutzer/innen) auch während des Pandemiegeschehens zu kurz greift und mögliche Outcomes der Arbeit im Homeoffice vermutlich von der Modalität der Nutzungspraxis abhängen. Auch in früheren Arbeiten wurde diskutiert, dass orts- und zeitflexible Arbeitsformen auch zu unterschiedlichen Nutzungspraxen führen. van Yperen et al. (2014, S. 2) sprechen diesbezüglich von unterschiedlichen Facetten des „blended working“: „workers can, for example, choose to maintain traditional office hours or to work in the evening, on weekends, or any combination of these“.
In der hier vorliegenden Arbeit werden drei Nutzungsdimensionen unterschieden: (1) Das Ausmaß der regulären Nutzungsform (Nutzung von Homeoffice zu üblichen Geschäftszeiten als vollständige örtliche Verlagerung aller Tätigkeiten, die andernfalls im Betrieb vor Ort erledigt werden), (2) das Ausmaß kompensatorischer Nutzung (Nutzung von Homeoffice im Anschluss an eine reguläre Tätigkeit vor Ort oder an freien Tagen) und (3) das Ausmaß der adaptiven Nutzung (gezielte Nutzung von Homeoffice für ausgewählte Tätigkeiten, die dafür als geeignet angesehen werden). Letztere Nutzungspraxis soll neben einer möglichen individuellen Präferenz für bestimmte Nutzungsformen auch berücksichtigen, dass sich bei manchen Arbeitsstellen nicht alle Arbeitsaufgaben ins Homeoffice verlegen lassen. Während adaptive Nutzungspraxen in bisheriger Forschung nicht berücksichtigt wurden, legen Forschungsresultate nahe, dass insbesondere kompensatorische Nutzungspraxen mit ungünstigeren Outcomes (erhöhtem Stresserleben, höherer Burnout-Neigung, erhöhten Work-Family Konflikten, geringerem psychologischem Detachment) verbunden sind (Hu et al. 2019; Magnavita et al. 2021; Rau und Göllner 2019; Ghislieri et al. 2017).

4 Personale Rahmenbedingungen

Da beim Arbeiten im Homeoffice die Grenzen zwischen privaten und beruflichen Sphären verschwimmen, ist die diesbezügliche Präferenz der Individuen hinsichtlich strikter Trennung oder Verschränkung zu berücksichtigen. Ein Konzept von Nippert-Eng (1996) verortet dazu die individuelle Position auf einem idealtypischen Kontinuum zwischen den Polen Integration (Präferenz für eine raum-zeitlich fluide Verschränkung von privatem und beruflichem) und Segmentation (Präferenz für eine strikte Trennung beider Sphären). Das Ausmaß der individuellen Segmentations- oder Integrationspräferenz wird dabei von Nippert-Eng nicht ausschließlich als statische Persönlichkeitseigenschaft gefasst, welche im Rahmen der Sozialisation internalisiert wird, sondern auch als Resultat (veränderlicher) sozial-räumliche Restriktionen oder Möglichkeiten (z. B. sozialräumliche Bedingungen der Wohnung, soziale Beziehung zu Kolleg/innen, Ambiente des Arbeitsplatzes oder Tätigkeitsanforderungen) betrachtet. Frühere Forschung zeigt, dass die Nutzung mobil-flexibler Arbeitsarrangements mit der individuellen Segmentations- bzw. Integrationspräferenz korrespondiert. Janke et al. (2014) berichten, dass sich Arbeitnehmer/innen, welche in Vertrauensarbeitszeitmodellen tätig sind, durch eine geringere Segmentationspräferenz auszeichnen. Park et al. (2011) zeigen, dass Personen mit höherer Segmentationspräferenz zuhause seltener Kommunikationstechnologien für berufliche Belange verwenden. Durch diese tatsächlich realisierte stärkere Trennung beider Sphären konnten Park et al. (2011) auch bestätigen, dass Individuen mit höherer Segmentationspräferenz stärkeres psychologisches Detachment realisieren und sich dadurch in weiterer Folge besser von Arbeitsbelastungen erholen können. Es kann somit angenommen werden, dass Individuen mit höherer Segmentationspräferenz seltener die Möglichkeit von Homeoffice in Anspruch nehmen und vermutlich auch seltener kompensatorische Nutzungspraxen wählen. Da jedoch Individuen im Zuge der COVID-19 Pandemie häufig unabhängig von ihrer Präferenz gezwungen waren im Homeoffice zu arbeiten, kann auch – beispielsweise aus der Perspektive der Person-Environment-Fit Theorie (Edwards et al. 1998) – vermutet werden, dass jene mit höherer Segmentationspräferenz häufiger von ungünstigen Outcomes berichten.
Mobil-flexible Arbeitsarrangements bieten Arbeitnehmer/innen in der Regel ein höheres Ausmaß an Handlungs-Autonomie (Job Control), womit typischerweise positive Effekte assoziiert werden (Montreuil und Lippel 2003; Gajendran und Harrison 2007; Charalampous et al. 2018). Mit höherer Job Control sind jedoch auch häufig höhere Verantwortung, Planungsnotwendigkeiten, Unberechenbarkeiten und Ambiguitäten verbunden, wodurch sich der Charakter der Job Control von einer Ressource zu einem zusätzlichen Belastungsfaktor wandeln kann (Kubicek et al. 2017). Es wird daher angenommen, dass der Zugewinn an Handlungsfreiraum im Homeoffice lediglich bei Individuen mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Autonomie – „Need for Control“ (Rijk et al. 1998) oder „Need for Autonomy“ (van Yperen et al. 2014) – zu positiven Effekten führt, jedoch potenziell auch mit Überforderung und negativen Outcomes assoziiert sein kann, wenn dieses Bedürfnis gering ausgeprägt ist. Allerdings legen Ergebnisse früherer Forschung nahe, dass hohe Autonomie auch Arbeitsintensivierung, erhöhte Verausgabungsneigung (Dalton und Mesch 1990; Putnam et al. 2014) und damit eine verstärkte Tendenz zu Präsentismus fördern kann (Gerich 2019). Folglich kann vermutet werden, dass Personen mit stärkerer Need for Control zwar die Situation im Homeoffice vorteilhafter wahrnehmen, jedoch möglicherweise zugleich häufiger kompensierende Nutzungspraxen von Homeoffice anwenden und stärker zu (virtuellem) Präsentismus neigen.
Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, zeigen bisherige Forschungsergebnisse widersprüchliche Effekte von Homeoffice auf die Vereinbarkeit von Arbeit und familiären Verpflichtungen. Einerseits könnte angenommen werden, dass beispielsweise Zeitgewinne durch den Entfall von Arbeitswegen oder potenziell höhere zeitliche Autonomie im Homeoffice bessere Vereinbarkeiten von Arbeitnehmer/innen mit Betreuungsverpflichtungen ermöglichen. Auf der anderen Seite kann genau das Überlagern von familiären und arbeitsbezogenen Verpflichtungen und die erhöhten Anforderungen durch Schulschließungen während der COVID-19 Pandemie eine Überforderung hervorrufen und damit zu einer Verstärkung von Work-Family Konflikten führen. Konform mit diesen Annahmen zeigen auch Forschungsresultate zu Effekten von Homeoffice während der Pandemie, dass jene mit familiären Betreuungsverpflichtungen über geringere Regenerationsfähigkeit und geringeres psychologisches Detachment berichten (Ghislieri et al. 2021).
Bisherige Ausführungen legen an mehreren Stellen nahe, dass das Arbeiten im Homeoffice individuelle Anpassungsleistungen und Arrangements erfordert. Dass beispielsweise Belastungen durch Technostress vor allem in initialen Phasen des Arbeitens im Homeoffice berichtet werden, legt nahe, dass Arbeitnehmer/innen Zeit und Erfahrung im Umgang mit Remote-Technologien und der Adaptierung häuslicher Arbeitsplätze benötigen. Auch ist denkbar, dass soziale Arrangements und Vereinbarungen mit Familienmitgliedern etabliert werden müssen, um praktikable Vereinbarungsstrategien zwischen privaten und beruflichen Belangen im Homeoffice herzustellen. Žiedelis et al. (2022) argumentieren auch, dass psychologisches Detachment im Sinne eines Skills erlernbar ist. Es wird somit angenommen, dass mögliche initiale Probleme bezüglich einer mentalen Distanzierung bei längerer Homeoffice-Erfahrung durch adaptierte Handlungsroutinen entschärft werden können.

5 Organisationale Rahmenbedingungen

In organisatorischer Perspektive wird häufig ein positiver Effekt von formalen oder informellen betrieblichen Regulativen zum Umgang mit Homeoffice (Homeoffice Policies) diskutiert. Damit sind unter anderem vereinbarte betriebliche Regeln darüber, wer wie häufig und wie lange im Homeoffice tätig sein kann, zu welchen Zeiten die Erreichbarkeit gewährleistet sein muss, oder welche Informationskanäle für die betriebliche Kommunikation genutzt werden sollten, adressiert (Gschwind und Vargas 2019; Gibbs et al. 2010; Kowalski und Swanson 2005). Derartige Policies erfüllen nach Mann et al. (2000) Idealerweise die Funktion eines „tele-psychological contracs“ um Klarheit über wechselseitige Erwartungen und damit Handlungssicherheit herzustellen. Bae und Kim (2016) bestätigten einen direkt proportionalen Zusammenhang zwischen formalisierten Homeoffice Policies und Arbeitszufriedenheit. Greer und Payne (2014) berichten, dass schriftliche Policies einen Beitrag dazu leisten können, unterschiedliche Herausforderungen, die sich durch die Einführung von Homeoffice ergeben können, zu mildern.
Veränderungen der Arbeitsorganisation von direkter tayloristischer Kontrolle zu indirekten Ziel-Steuerungsformen wie Management by Objectives (van Echtelt et al. 2009) können einerseits als Ermöglichungsstrukturen für das Arbeiten im Homeoffice angesehen werden (Kelliher und Anderson 2010). Forschungsresultate legen jedoch auch nahe, dass indirekte Steuerungsformen dazu führen, dass Arbeitnehmer/innen zugunsten der Aufrechterhaltung der Produktivität und Zielerreichung zu überlangen Arbeitszeiten, Arbeitsintensivierung, zusätzliche Arbeit an Wochenenden, ständige Erreichbarkeit oder Präsentismus neigen (Rau und Göllner 2019; Dettmers et al. 2016; Deci et al. 2016; Putnam et al. 2014). Es kann daher angenommen werden, dass indirekte Steuerungsformen einerseits aufgrund eines höheren Ausmaßes an kompensatorischer Homeoffice-Nutzung mit ungünstigen Outcomes verbunden sind und andererseits in direkter Weise mit höherem Präsentismus und geringerem psychologischen Detachment verknüpft sind.
Weiterhin soll das Ausmaß des kompetitiven Organisationsklimas als organisationale Rahmenbedingung in der Studie berücksichtigt werden. Ein kompetitives Organisationsklima wird definiert als das wahrgenommene Ausmaß, mit dem Konkurrenz zwischen Mitarbeiter/innen im Betrieb gefördert wird und Gratifikationen und Ressourcen auf Basis konkurrierender Leistungsbewertungen verteilt werden (Arnold et al. 2009; Keller et al. 2016). Ein wettbewerbsorientiertes Organisationsklima kann einerseits Produktivität von Mitarbeiter/innen erhöhen und für jene, die sich in Wettbewerbs-Situationen behaupten, eine Quelle zur Erhöhung des Selbstwertes und Selbstwirksamkeit darstellen. Andererseits erhöht ein kompetitives Klima auch die Verausgabungsneigungen und die Tendenz zu dysfunktionalen Coping-Strategien wie Workaholismus, Arbeiten an Wochenenden und wird mit geringem psychologischen Detachment und erhöhter Burnout-Neigung in Verbindung gebracht (Arnold et al. 2009; Rai et al. 2022). Aufgrund des verstärkten Wettbewerbs um begrenzte Ressourcen richten Individuen ihren Fokus unter kompetitiven Bedingungen stärker auf Arbeitsbelange aus, wodurch sich in der Tendenz Work-Family Konflikte verschärfen (Mao et al. 2022). Ein Wettbewerbsklima scheint darüber hinaus negative Effekte von Technostress zu verschärfen (Turel und Gaudioso 2018; Jurek et al. 2021). Ein kompetitives Organisationsklima steht weiterhin mit geringerer gegenseitiger Unterstützung, einem restriktiveren Umgang mit Informationsweitergabe und sozialer Isolation in Verbindung (Du et al. 2022; Keller et al. 2016). Da das eigene Bemühen und das Arbeitsengagement für andere im Homeoffice weniger sichtbar und die Kommunikation eingeschränkter ist, wird angenommen, dass ein kompetitives Klima potenziell dysfunktionale Copingstrategien (kompensatorische Nutzung, Intensivierung, Arbeiten trotz Krankheit) im Homeoffice weiter befeuern kann, wodurch in der Tendenz mit negativeren Outcomes zu rechnen ist.
Wie auf Individualebene wird auch erwartet, dass die Implementierung von Homeoffice auf organisationaler Ebene Anpassungsleistungen erfordert, weshalb angenommen wird, dass mit zunehmender organisationaler Homeoffice-Erfahrung positivere Outcomes auf individueller Ebene resultieren.

6 Das Forschungsmodell

Basierend auf Befragungsdaten von Beschäftigten in den Branchen IT, Versicherungs- und Finanzwesen soll untersucht werden, inwiefern selbst-berichtete Effekte des Arbeitens im Homeoffice (bezogen auf Detachment, Work-Family Konflikte und Technostress), die Neigung zu Präsentismus durch die Homeoffice Nutzungspraxis (differenziert in reguläre, adaptive und kompensatorische Nutzung) sowie personale (Betreuungspflichten, Segmentationspräferenz, Need for Control und Erfahrung mit Homeoffice) und organisationsbezogene Merkmale (vorhandene Homeoffice-Policies, kompetitives Organisationsklima, indirekte Zielsteuerungspraxis und organisationale Homeoffice-Erfahrung) erklärt werden kann. Das Analysemodell ist in Abb. 1 dargestellt.
Demnach wird angenommen, dass die berücksichtigten personalen und organisatorischen Rahmenbedingungen einerseits direkten Einfluss auf die berücksichtigten Outcomes von Homeoffice zeigen. Andererseits werden indirekte Effekte über die jeweilige Nutzungspraxis von Homeoffice angenommen. Ebenfalls geprüft werden sollen mögliche Interaktionseffekte zwischen der individuellen Segmentationspräferenz und der Nutzungspraxis. Im Lichte der Person-Environment-Fit Theorie wird insbesondere erwartet, dass eine kompensatorische Nutzungspraxis bei Individuen mit ausgeprägter Segmentationspräferenz zu ungünstigen Auswirkungen führt. Für Personen mit höherer Integrationspräferenz könnte dagegen ein Verschwimmen der Grenzen zwischen privaten und beruflichen Sphären stärker passfähig sein, wodurch auch weniger negative Effekte für diese zu erwarten sind.

7 Methodik

Die Daten dieser Untersuchung basieren auf einer postalischen standardisierten Befragung von Arbeitnehmer/innen in Oberösterreich, welche im Februar und März 2021 durchgeführt wurde. Dazu wurde eine Zufallsstichprobe von 3000 Beschäftigten aus den Registerdaten der oberösterreichischen Arbeiterkammer gezogen (eine Arbeiterkammer-Mitgliedschaft ist für die meisten Arbeitnehmer/innen verpflichtend). Die Stichprobe wurde auf Beschäftigte der IT-, Finanz- und Versicherungsbranche eingeschränkt, da in diesen Branchen während der COVID-19 Pandemie am häufigsten im Homeoffice gearbeitet wurde (Bachmayer und Klotz 2021). Der Fragebogen wurde von 882 Personen beantwortet, wovon 809 Personen angaben in den vergangenen 12 Monaten zumindest einmal im Homeoffice gearbeitet zu haben. Die hier präsentierten Auswertungen beziehen sich auf 743 Fälle mit gültigen Antworten bei den berücksichtigten Analysevariablen.
44 % der Befragten sind weiblich. Die Altersspanne bewegt sich zwischen 19 und 64 Jahren (Mittelwert 42,4 J.; Std. Abw. 11,1). Die Befragten weisen branchentypisch tendenziell höhere Bildungsniveaus auf – 34,9 % geben Abitur und 32,8 % einen Hochschulabschluss als höchsten Bildungsabschluss an. Der überwiegende Teil der Befragten (73,7 %) arbeitet in einem Vollzeitverhältnis (≥ 38 h/Woche) und 27,8 % arbeiten in einer Leitungsfunktion.

8 Messung der Untersuchungsvariablen

8.1 Personale Merkmale

Das Ausmaß der Betreuungsverpflichtungen wurde mittels einer Einzelfrage („In welchem Ausmaß erbringen Sie private Betreuungsleistungen für andere Personen (z. B. für Kinder, alte Menschen, beeinträchtigte Menschen, …)?“) erfasst, wobei die Antwortkategorien von 0 (gar nicht) bis 10 (sehr stark) reichten.
Zur Erfassung der individuellen Homeoffice-Erfahrung wurde danach gefragt, ob die Befragten zumindest fallweise bereits vor der COVID-Pandemie von zuhause aus gearbeitet haben.
Das Ausmaß der Segmentationspräferenz wurde durch einen Mittelwertsindex basierend auf vier Items erfasst, welche auf einer adaptierten Form einer Skala von Janke et al. (2014) basieren (Beispielitem: „ich mag es nicht, wenn ich in meiner Freizeit an die Arbeit denken muss“). Die Antwortmöglichkeiten bestanden jeweils aus einer vierteiligen Ratingskala von 1 (trifft gar nicht zu) bis 4 (trifft voll zu) (Cronbachs Alpha = 0,89).
Die individuelle Need for Control wurde anhand eines Mittelwertsindex dreier Items, welche in Anlehnung an eine Skala von Rijk et al. (1998) formuliert wurden und derselben vierteiligen Ratingskala erfasst. Die Items wurden eingeleitet mit der Frage „Inwiefern ist Ihnen Folgendes wichtig bei Ihrer Arbeit?“. Die Items lauteten: „Mein Arbeitstempo selbst kontrollieren zu können“, „Kontrolle darüber zu haben, auf welche Art und Weise ich meine Arbeit erledige“, „Meine Arbeit selbständig planen zu können“ (Cronbachs Alpha = 0,71).

8.2 Organisationale Merkmale

Zur Erfassung der organisationalen Homeoffice-Policies wurde mittels fünf Items nach dem Ausmaß vorhandener betrieblicher Regeln oder Vereinbarungen für das Arbeiten von zuhause aus gefragt. Die Items bezogen sich auf Regeln und Vereinbarungen darüber, „wer im Homeoffice arbeiten darf oder soll“, „welche Arbeiten im Homeoffice erledigt werden dürfen oder sollen“, „zu welchen Zeiten bzw. für wie viele Stunden im Homeoffice gearbeitet werden darf oder soll“, „zu welchen Zeiten die Mitarbeiter/innen im Homeoffice erreichbar sein müssen oder sollen“ und „die Form in welcher die Mitarbeiter/innen im Homeoffice erreichbar sein müssen oder sollen (z. B. telefonisch oder per e‑mail)“. Es standen jeweils drei Antwortmöglichkeiten zur Verfügung („gar nicht geregelt“ (1), „ungefähre Regeln“ (2) „klare Regeln“ (3)) (Mittelwertsindex, Cronbachs Alpha = 0,81).
Die Organisationserfahrung mit Homeoffice vor der COVID-Pandemie wurde durch folgende Frage erfasst: „Haben in Ihrem Unternehmen Mitarbeiter/innen bereits vor der Corona-Pandemie von Zuhause aus gearbeitet?“. Die Antwortkategorien reichten von 1 (nie) bis 4 (häufig).
Die Erhebung des kompetitiven Organisationsklimas erfolgte mit drei Items basierend auf einer Übersetzung einer Skala von Arnold et al. (2009) (Beispielitem: „Mein/e Vorgesetzte/r vergleicht regelmäßig meine Leistungen mit denen der anderen Mitarbeiter/innen“) anhand vierteiliger Ratingskalen mit Ausprägungen zwischen 1 (trifft gar nicht zu) und 4 (trifft voll zu) (Mittelwertsindex, Cronbachs Alpha = 0,82).
Die indirekte Zielsteuerung im Unternehmen wurde durch drei Items (Schraner 2015) („ich arbeite nach Zielvorgaben oder -vereinbarungen“, „ich gebe regelmäßig an, ob ich die vereinbarten Ziele und Termine halten kann“, „der aktuelle Stand meiner Zielerreichung wird regelmäßig überprüft“) anhand vierteiliger Ratingskalen mit Ausprägungen zwischen 1 (trifft gar nicht zu) und 4 (trifft voll zu) gemessen (Mittelwertsindex, Cronbachs Alpha = 0,85).

8.3 Nutzungspraxis von Homeoffice

Die Befragten wurden danach gefragt, wann und für welche Tätigkeiten sie Homeoffice typischerweise nutzen. Zwei Items („an Wochenenden oder freien Tagen“, „zusätzlich nach der regulären Arbeitszeit im Betrieb/im Büro“) bezogen sich auf die kompensatorische Nutzung (Mittelwertsindex, Inter-Item Korrelation = 0,66). Zwei Items bezogen sich auf die reguläre Nutzung („zur regulären Geschäftszeit anstelle einer Anwesenheit im Betrieb“, „für alle Tätigkeiten, die ich auch im Betrieb/im Büro erledigen könnte“, Mittelwertsindex, Inter-Item Korrelation = 0,63). Eine adaptive Nutzung wurde mit dem Item „nur gezielt für bestimmte Tätigkeiten, welche für die Erledigung im Homeoffice geeignet sind“ erfragt. Die Antwortskalen für alle Items reichten von 1 (trifft gar nicht zu) bis 4 (trifft voll zu). Die Dimensionale Struktur wurde faktoranalytisch (PCA) bestätigt.

8.4 Outcome-Variablen

Wahrnehmung von vermehrtem Technostress im Homeoffice wurde durch folgende zwei Items erfasst: (Im Homeoffice…) „… verursacht die Nutzung von IT mehr Probleme, als ich sonst erleben würde“, „… ist die Arbeit durch die zusätzlich benötigte IT anstrengender für mich“ (Mittelwertsindex, Inter-Item Korrelation = 0,58). Mit zwei Items wurde eine mögliche Zunahme von Work-Family Konflikten im Homeoffice gemessen: (Im Homeoffice …) „… beeinträchtigen die Anforderungen meiner Arbeit mein Privat- und Familienleben mehr“, „beeinträchtigen die Anforderungen meiner Familie oder meines/r Partners/in meine arbeitsbezogenen Tätigkeiten mehr“ (Mittelwertsindex, Inter-Item Korrelation = 0,75). Mangelndes Detachment wurde mit einem Item erfasst: (Im Homeoffice …) „… fällt es mir schwerer am Abend und am Wochenende Abstand von der Arbeit zu gewinnen“. Die Antwortskalen für alle Items reichten von 1 (trifft gar nicht zu) bis 4 (trifft voll zu).
Zur Messung der Präsentismus-Neigung wurde die individuelle Präsentismus-Propensity (Gerich 2015) ermittelt. Die Präsentismus-Propensity stellt eine Schätzung der individuellen Wahrscheinlichkeit dafür dar, sich im Krankheitsfall für die Fortführung der Arbeit und gegen Krankenstand zu entscheiden. Sie wird geschätzt aus der Anzahl der Präsentismus-Tage im Berichtszeitraum („Wie viele Tage haben Sie ungefähr in den letzten 12 Monate gearbeitet, obwohl es Ihr Gesundheitszustand eigentlich gerechtfertigt hätte, Krankenstand in Anspruch zu nehmen?“) dividiert durch die Summe aus Krankenstands- und Präsentismus-Tagen. Die Krankenstands-Tage wurden dabei durch die Frage „Wie viele Tage waren Sie ungefähr in den letzten 12 Monaten aus gesundheitlichen Gründen im Krankenstand?“ erfasst. Der mögliche Wertebereich der Präsentismus-Propensity bewegt sich zwischen 0 (alle Krankheitstage werden in Form von Krankenstand verbracht) und 1 (alle Krankheitstage werden in Form von Präsentismus verbracht).

8.5 Kontrollvariablen

Das Lebensalter und das Geschlecht der Befragten wurden als Kontrollvariablen in den Analysen berücksichtigt.
Deskriptive Variablen-Informationen sind in Tab. 1 ersichtlich.
Tab. 1
Deskriptive Informationen
Table 1
Descriptive information
 
Mittelwert/Anteil
(Std.Abw.)
Skalierung
Personale Merkmale
Betreuungsverpflichtungen
3,48
(3,37)
0 (keine) bis 10 (sehr stark)
Individuelle Homeoffice-Erfahrung
36,2 %
0 (nein)/1(ja)
Segmentationspräferenz
3,16
(0,75)
1 (gering) bis 4 (stark)
Need for Control
3,61
(0,45)
1 (gering) bis 4 (stark)
Organisationale Merkmale
Organisationale Homeoffice-Policies
2,43
(0,53)
1 (gering) bis 3 (hoch)
Organisationserfahrung mit Homeoffice
2,48
(0,99)
1 (gering) bis 4 (hoch)
Kompetitives Organisationsklima
2,36
(0,81)
1 (gering) bis 4 (stark)
Indirekte Zielsteuerung
2,77
(0,88)
1 (gering) bis 4 (stark)
Nutzungspraxis von Homeoffice
Kompensatorische Nutzung
1,84
(0,87)
1 (gering) bis 4 (stark)
Reguläre Nutzung
3,63
(0,66)
1 (gering) bis 4 (stark)
Adaptive Nutzung
2,26
(1,14)
1 (gering) bis 4 (stark)
Outcome-Variablen
Technostress
1,65
(0,75)
1 (gering) bis 4 (stark)
Mangelndes Detachment
2,06
(1,08)
1 (gering) bis 4 (stark)
Work-Family Konflikte
1,77
(0,87)
1 (gering) bis 4 (stark)
Präsentismus-Neigung
0,53
(0,40)
0 (kein Präsentismus) bis 1 (ausschließlich Präsentismus)
Kontrollvariablen
Alter
42,40
(11,11)
In Jahren
Geschlecht (weiblich)
44,0 %
0 (männlich)/1 (weiblich)
n = 743

8.6 Analysemethoden

Entsprechend den Annahmen in Abb. 1 wurde ein Pfadmodell analysiert. Die Analyse erfolgte unter Verwendung einer robusten Maximum Likelihood Schätzung mittels Mplus 8.4 (Muthén und Muthén 1998–2017).

9 Resultate

Tab. 2 zeigt die Resultate der Pfadanalyse. Im linken Teil der Tabelle sind die Effekte der Prädiktoren hinsichtlich der Nutzungspraxis, im rechten Teil die direkten Effekte der Prädiktoren und der Nutzungspraxis hinsichtlich der Outcome-Variablen ersichtlich.
Tab. 2
Pfadmodell
Table 2
Path-model
 
Effekte hinsichtlich der Mediatoren (Nutzungspraxis)
Effekte hinsichtlich der Outcome-Variablen
 
Kompensatorisch
Regulär
Adaptiv
Technostress
Mangelndes Detachment
Work-Family Konflikte
Präsentismus-Neigung
Personale Merkmale
Betreuungsverpflichtungen
0,07*
0,02
0,00
0,00
−0,04
0,19***
0,00
Individuelle Homeoffice Erfahrung
0,17***
0,17***
0,06
−0,08*
−0,06
−0,11**
−0,01
Segmentationspräferenz
−0,36***
0,03
0,00
0,19***
0,14***
0,20***
−0,04
Need for Control
0,11***
0,04
0,06
−0,13***
−0,08*
−0,06
0,02
Organisationale Merkmale
Organisationale Homeoffice-Policies
−0,15***
0,10**
−0,03
−0,11**
−0,09*
−0,13**
−0,04
Organisationserfahrung mit Homeoffice
0,06
0,11**
−0,01
−0,07
−0,03
0,04
−0,02
Kompetitives Organisationsklima
0,18***
−0,05
0,04
0,16***
0,02
0,12**
0,15**
Indirekte Zielsteuerung
0,08*
−0,11**
0,19***
−0,01
0,10*
0,07
−0,01
Nutzungspraxis von Homeoffice
Kompensatorische Nutzung
0,13**
0,41***
0,27***
0,14*
Reguläre Nutzung
−0,04
−0,04
−0,06*
−0,05
Adaptive Nutzung
0,02
−0,06
−0,02
0,01
Kontrollvariablen
Alter
−0,04
0,00
0,05
0,05
−0,06
0,00
−0,07
Geschlecht (weiblich)
−0,10**
0,03
−0,06
0,07
0,11**
−0,05
0,03
R2
0,31
0,08
0,06
0,11
0,18
0,19
0,06
Interaktionseffekt
Segmentation x Kompensatorische Nutzung
0,05
0,10**
0,12**
0,07
Standardisierte Koeffizienten; *p ≤ 0,05, **p ≤ 0,01, ***p ≤ 0,001
Zunächst ist festzustellen, dass insbesondere die kompensatorische Nutzungspraxis – also die Nutzung von Homeoffice an freien Tagen oder zusätzlich nach regulären Arbeitstagen im Betrieb – in Abhängigkeit der Prädiktorvariablen variiert. Diese Nutzungspraxis kann zu 31 % durch die berücksichtigten Prädiktoren erklärt werden. Der Erklärungsbeitrag für die beiden übrigen Nutzungsformen ist deutlich geringer.
Homeoffice wird häufiger von jenen Personen kompensatorisch eingesetzt, die sich durch eine höhere Need for Control auszeichnen und schon längere Homeoffice-Erfahrung vor der Pandemie hatten. Auch Personen mit Betreuungsverpflichtungen setzen Homeoffice signifikant häufiger kompensatorisch ein, wenngleich dieser Effekt schwach ausgeprägt ist. Am deutlichsten jedoch zeigt sich, dass Arbeitnehmer/innen mit höher ausgeprägter Segmentationspräferenz seltener dazu tendieren, Homeoffice kompensierend zu nutzen.
Darüber hinaus zeigt sich, dass Frauen im Vergleich zu Männern Homeoffice weniger häufig kompensatorisch nutzen.
Aus organisatorischer Perspektive ist festzuhalten, dass insbesondere ein wettbewerbsorientiertes Organisationsklima und (allerdings deutlich schwächer) Management-Strategien der indirekten Zielsteuerung mit stärkerer kompensatorischer Nutzung assoziiert sind. Je konkreter jedoch organisatorische Richtlinien im Umgang mit Homeoffice vorhanden sind, umso weniger häufig erfolgt eine kompensatorische Nutzung.
Die reguläre Nutzung – also die klassische Nutzungsform bei welcher die Arbeit zur üblichen Geschäftszeit und unabhängig von Arbeitsinhalten in den häuslichen Bereich verlagert wird – wird intensiver von jenen betrieben, die schon vor der Pandemie Erfahrung mit Homeoffice hatten. Auch in Betrieben mit längerer Homeoffice-Tradition und konkretisierten Regeln im Umgang mit Homeoffice ist eine stärker reguläre Nutzungsform zu beobachten. Unter Bedingungen indirekter Zielsteuerung wird dagegen Homeoffice seltener in regulärer Form, dafür stärker adaptiv – also situativ und gezielter für spezifische Tätigkeiten – eingesetzt.
Betrachtet man in weiterer Folge die Effekte hinsichtlich der Outcome-Variablen, so ist zunächst festzuhalten, dass sich diesbezüglich Zusammenhänge mit der Nutzungspraxis fast ausschließlich für die kompensatorische Nutzung von Homeoffice beobachten lassen. Dabei zeigt sich, dass die kompensatorische Nutzungsform bei allen vier berücksichtigten Outcome-Variablen mit ungünstigeren Auswirkungen von Homeoffice verknüpft ist. Die kompensatorische Nutzung ist mit deutlich schlechteren mentalen Distanzierungsmöglichkeiten nach der Arbeit (mangelndes Detachment), mit stärkeren Work-Family Konflikten, aber auch mit erhöhtem Technostress und einer erhöhten Neigung zu Präsentismus assoziiert.
Für die personalen und organisationsbezogenen Prädiktoren können sowohl direkte als auch indirekte Effekte – mediiert über die Nutzungspraxis – auf die Outcome-Variablen beobachtet werden. Die Analyse zeigt dabei, dass signifikante indirekte Effekte ausschließlich über die kompensatorische Nutzungspraxis bestätigt werden. Zur Gesamtinterpretation sind daher in Tab. 3 die direkten und indirekten Effekte über die kompensatorische Nutzungspraxis sowie die resultierenden totalen Effekte der Prädiktoren zusammengefasst.
Tab. 3
Direkte, indirekte und totale Effekte
Table 3
Direct, indirect and total effects
X
Y
Total
Indirekt
Direkt
Segmentationspräferenz
Technostress
0,14***
−0,05**
0,19***
Need for control
Technostress
−0,12***
0,01*
−0,13***
Individuelle Homeoffice-Erfahrung
Technostress
−0,06
0,02*
−0,08*
Organisationale Homeoffice-Policies
Technostress
−0,13***
−0,02*
−0,11**
Kompetitives Organisationsklima
Technostress
0,19***
0,03*
0,16***
Geschlecht (weiblich)
Technostress
0,06
−0,01*
0,07
Segmentationspräferenz
Präsentismus
−0,09
−0,05*
−0,04
Need for control
Präsentismus
0,03
0,02*
0,02
Individuelle Homeoffice-Erfahrung
Präsentismus
0,01
0,02*
−0,01
Organisationale Homeoffice-Policies
Präsentismus
−0,06
−0,02*
−0,04
Kompetitives Organisationsklima
Präsentismus
0,17**
0,03*
0,15**
Geschlecht (weiblich)
Präsentismus
0,01
−0,01*
0,03
Betreuungsverpflichtung
Work-Family Konflikte
0,21***
0,02*
0,19***
Segmentationspräferenz
Work-Family Konflikte
0,10**
−0,10***
0,20***
Need for Control
Work-Family Konflikte
−0,04
0,03**
−0,06
Individuelle Homeoffice-Erfahrung
Work-Family Konflikte
−0,08*
0,05***
−0,11**
Organisationale Homeoffice-Policies
Work-Family Konflikte
−0,17***
−0,04**
−0,13**
Kompetitives Organisationsklima
Work-Family Konflikte
0,17***
0,05***
0,12**
Indirekte Zielsteuerung
Work-Family Konflikte
0,09*
0,02*
0,07
Geschlecht (weiblich)
Work-Family Konflikte
−0,08*
−0,03**
−0,05
Betreuungsverpflichtung
Mangelndes Detachment
−0,01
0,03*
−0,04
Segmentationspräferenz
Mangelndes Detachment
−0,01
−0,14***
0,14***
Need for Control
Mangelndes Detachment
−0,04
0,04***
−0,08*
Individuelle Homeoffice-Erfahrung
Mangelndes Detachment
0,00
0,07***
−0,06
Organisationale Homeoffice-Policies
Mangelndes Detachment
−0,15***
−0,06***
−0,09*
Kompetitives Organisationsklima
Mangelndes Detachment
0,09*
0,07***
0,02
Indirekte Zielsteuerung
Mangelndes Detachment
0,12**
0,03*
0,10*
Geschlecht (weiblich)
Mangelndes Detachment
0,07*
−0,04**
0,11***
Standardisierte Koeffizienten; X = Unabhängige Variable; Y = Abhängige Variable; Mediator = kompensatorische Nutzung von Homeoffice
*p ≤ 0,05, **p ≤ 0,01, ***p ≤ 0,001
Die Ergebnisse zeigen einerseits Prädiktoren mit antagonistischen Effekten hinsichtlich der Outcome-Variablen. Diese ergeben sich dadurch, dass indirekte Effekte über die kompensatorische Nutzungspraxis gegensinnig zu den direkten Effekten stehen, mit denen die Prädiktoren mit den Outcome-Variablen in Beziehung stehen. In Summe löschen sich diese gegensinnigen Effekte teilweise auf null aus.
Solche antagonistischen Effekte sind für die Segmentationspräferenz zu beobachten. Arbeitnehmer/innen mit höherer Segmentationspräferenz (die also berufliche und private Belange stärker trennen möchten) nutzen Homeoffice seltener in kompensatorischer Weise. Dadurch resultieren einerseits günstige indirekte Effekte hinsichtlich aller vier Outcome-Variablen (d. h., reduzierter Technostress, weniger Work-Family Konflikte, höheres Detachment und geringere Präsentismus-Neigung), da ein geringeres Ausmaß kompensatorischer Nutzung mit positiveren Auswirkungen von Homeoffice verknüpft ist. Dem stehen jedoch gleichzeitig direkte ungünstige Effekte auf die Outcomevariablen gegenüber. Das heißt, unabhängig von der Nutzungspraxis geben Respondent/innen mit höherer Segmentationspräferenz mehr Technostress, ein höheres Ausmaß an Work-Family Konflikten und geringeres Detachment im Homeoffice an. Bilanzierend resultieren aus beiden Pfaden (totale Effekte) jedoch dennoch signifikant ungünstigere Outcomes hinsichtlich Technostress und Work-Family Konflikten.
Antagonistische Effekte zeigen sich spiegelbildlich auch für das individuelle Ausmaß an Need for Control. Beschäftigte mit einem höheren Bedürfnis nach Autonomie nutzen Homeoffice einerseits häufiger in kompensatorischer Weise, wodurch sich ungünstige indirekte Effekte hinsichtlich aller vier Outcome-Variablen zeigen. Die direkten Effekte weisen demgegenüber jedoch in die gegenteilige Richtung. Da für Arbeitnehmer/innen mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Handlungsautonomie und Selbstbestimmung die Situation im Homeoffice besser kompatibel scheint, ergeben sich unabhängig von der Nutzungspraxis günstigere Wahrnehmungen hinsichtlich Detachment und Technostress. Bilanzierend mitteln sich diese beiden Effekte entweder aus (nicht signifikanter totaler Effekt) oder resultieren in einem günstigen totalen Effekt (geringerer Technostress).
Ebenfalls antagonistische Effekte zeigen sich für das Ausmaß der individuellen Homeoffice-Erfahrung. Erfahrung mit Homeoffice schon vor der Pandemie ist mit stärker kompensatorischer Nutzung verknüpft, wodurch sich wiederum ungünstige indirekte Effekte auf alle betrachteten Outcome-Variablen ergeben. Dennoch stehen diesen ungünstigen Effekten, die durch die Praxis erklärbar sind, direkte günstige Effekte hinsichtlich Work-Family Konflikten und Technostress gegenüber. Summativ mitteln sich diese entgegengesetzten weitgehend Effekte aus; hinsichtlich der Work-Family Konflikte zeigt sich jedoch summativ ein günstiger (d. h. reduzierender) totaler Effekt.
Andererseits zeigen sich für andere Prädiktoren konkordante Zusammenhänge mit übereinstimmender Richtung von direkten und indirekten Effekten.
Dies betrifft die Ausgestaltung von Homeoffice-Policies. Je konkreter im Unternehmen Regeln zum Umgang mit Homeoffice vorliegen, umso seltener wird Homeoffice kompensatorisch eingesetzt, wodurch sich günstige indirekte Effekte hinsichtlich aller Outcomevariablen ergeben. Aber auch unabhängig von der Nutzungspraxis können darüber hinaus günstige direkte Effekte von Homeoffice-Policies hinsichtlich Technostress, Work-Family Konflikten und Detachment bestätigt werden.
Nahezu spiegelbildlich gestalten sich die beobachteten Effekte hinsichtlich dem wettbewerbsorientierten Organisationsklima. Es zeigen sich einerseits ungünstige direkte Effekte eines kompetitiven Klimas in Bezug auf Technostress, Präsentismus und Work-Family Konflikte. Zum anderen ist ein wettbewerbsorientiertes Organisationsklima mit einer stärker kompensatorischen Nutzung von Homeoffice verknüpft, wodurch sich unabhängig von der Nutzungspraxis auch ungünstige indirekte Effekte hinsichtlich aller berücksichtigten Outcomes ergeben.
Das Ausmaß der Betreuungsverpflichtung zeigt konkordant ungünstige Effekte in Bezug auf Work-Family Konflikte. Mit höheren Betreuungsverpflichtungen steigt die kompensatorische Nutzung von Homeoffice (wenngleich dieser Zusammenhang sehr schwach ausgeprägt ist), wodurch indirekt etwas stärkere Work-Family Konflikte und geringeres Detachment resultiert. Stärker ist hier jedoch der direkte Effekt für Work-Family Konflikte, welche unabhängig von der Nutzungspraxis mit dem Ausmaß an Betreuungsverpflichtungen ansteigen.
Vergleichsweise schwache Zusammenhänge lassen sich zwischen einer indirekten Zielsteuerung und den Outcome-Variablen bestätigen. Die etwas höhere kompensatorische Nutzung von Homeoffice unter Bedingungen indirekter Zielsteuerung führt in weiterer Folge zu etwas höheren Work-Family Konflikten und geringerem Detachment. Indirekte Zielsteuerung ist auch direkt – d. h. unabhängig von der Nutzungspraxis von Homeoffice – mit geringerem Detachment verbunden.
Da Frauen im Vergleich zu Männern Homeoffice seltener kompensatorisch einsetzen, führt dies in weiterer Folge indirekt zu günstigeren Effekten bei allen betrachteten Outcomevariablen. Dennoch geben Frauen im Vergleich zu Männern unabhängig von der Homeoffice-Nutzungsweise geringeres Detachment an.
Wie in Tab. 2 ersichtlich können zudem zwei signifikante Interaktionseffekte zwischen Segmentationspräferenz und Nutzungspraxis bestätigt werden. Dies betrifft Interaktionseffekte von Segmentationspräferenz und kompensatorischer Nutzung hinsichtlich Detachment und Work-Family Konflikte, welche in Abb. 2 und 3 veranschaulicht sind.
Demnach verstärkt sich der ungünstige Effekt kompensatorischer Nutzung von Homeoffice auf Detachment und Work-Family Konflikte weiter, wenn Individuen eine höhere Segmentationspräferenz aufweisen, wohingegen geringe Segmentationspräferenz (bzw. stärkere Integrationspräferenz) diese Effekte abmildert.

10 Diskussion

Obwohl bisherige Forschung überwiegend positive Effekte des Arbeitens im Homeoffice für Erwerbstätige berichtet, muss dennoch auch mit der Möglichkeit ungünstiger Effekte – wie beispielsweise erhöhtem Technostress, Entgrenzung, mangelnder Distanzierung und Erholung sowie Interferenzen zwischen privaten und beruflichen Verpflichtungen – gerechnet werden. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Identifikation möglicher Rahmenbedingungen auf individueller und organisationaler Ebene sowie spezifischer Nutzungspraxen, welche mit potenziell ungünstigen individuellen Effekten des Arbeitens im Homeoffice verbunden sind.
Die Ergebnisse legen nahe, dass vor allem das Ausmaß einer kompensatorischen Nutzung von Homeoffice – damit ist die Nutzung an freien Tagen, an Wochenenden oder zusätzliches Arbeiten nach einem regulären Arbeitstag im Betrieb gemeint – mit ungünstigen Effekten bezüglich aller berücksichtigten Outcomes verknüpft ist. Diese Nutzungspraxis ist im Vergleich zu anderen mit erhöhtem Technostress, mit stärker berichteten Work-Family Konflikten, geringerem psychologischem Detachment und einer erhöhten Neigung zu Präsentismus assoziiert. Für die Praxis der regulären Nutzung (vollständige tageweise örtliche Verlegung der Tätigkeit ins Homeoffice) und der adaptiven Nutzung (gezielte Auswahl von Tätigkeiten, die für die Erledigung im Homeoffice als geeignet erscheinen) wurden dagegen keine relevanten Zusammenhänge mit den Outcomevariablen beobachtet.
Kompensatorische Nutzung von Homeoffice korrespondiert erwartungsgemäß mit individuellen Präferenzen. Arbeitnehmer/innen mit geringer Segmentationspräferenz (für welche die Trennung zwischen privaten und beruflichen Belangen geringe Priorität darstellt) und jene mit einem hohen Bedürfnis nach Autonomie (Need for Control) tendieren häufiger zu dieser Praxis. Es zeigt sich jedoch auch, dass eine längere individuelle Erfahrung mit Homeoffice zwar mit stärker regulärer Nutzung, aber auch mit intensiverer kompensatorischer Nutzung assoziiert ist. Dieses Ergebnis legt nahe, dass Homeoffice vor der COVID-19 Pandemie häufig als Strategie angewandt wurde, hohen Workload durch zusätzliches Arbeiten zu Hause zu bewältigen. Konsistent mit dieser Interpretation scheinen auch die Zusammenhänge mit Organisationsmerkmalen zu sein, wonach kompensatorischer Einsatz häufiger in Betrieben mit starker Wettbewerbsorientierung und unter indirekten Steuerungsformen wie Management by Objektives beobachtet werden kann. Die Etablierung betrieblicher Regeln (Policies) zum Umgang mit Homeoffice scheinen dagegen die kompensatorische Nutzungspraxis zu reduzieren.
Die zuvor genannten Prädiktorvariablen der kompensatorischen Nutzungspraxis stehen damit aufgrund von Mediationseffekten auch mit eher ungünstigen Outcomes in Verbindung. Darüber hinaus gehen von diesen Merkmalen jedoch auch direkte Effekte unabhängig von der Nutzungspraxis aus.
Aus der Gesamtschau direkter und indirekter Effekte zeichnet sich ein etwas komplexeres Bild ab:
Individuelle Segmentationspräferenz, das Bedürfnis nach Autonomie und das Ausmaß individueller Homeoffice-Erfahrung zeigen im Vergleich zwischen direkten und indirekten Effekten antagonistische Effekte auf die Outcomevariablen: Geringe Präferenz für Segmentation, ein hohes Bedürfnis nach Autonomie und längere Homeoffice-Erfahrung sind einerseits aufgrund der damit verbundenen stärker kompensatorischen Nutzung mit tendenziell ungünstigen Effekten verknüpft. Dem stehen jedoch direkte günstige Effekte gegenüber. Arbeiten im Homeoffice scheint einerseits mit diesen genannten individuellen Präferenzen kompatibel, wodurch positive individuelle Effekte wahrgenommen werden. Zum anderen kann angenommen werden, dass die Arbeit im Homeoffice Anpassungen und Adaptierungen (z. B. bezüglich Infrastruktur und technischer Voraussetzungen, Entwicklung familiärer Vereinbarkeitsstrategien) erfordert, wodurch sich mit zunehmender Erfahrung im Umgang mit Homeoffice stärker positive Effekte einstellen könnten. Aus diesen Ergebnissen kann auch abgeleitet werden, dass Homeoffice für Individuen mit Integrationspräferenz und Autonomiebedürfnissen insbesondere dann positive Effekte erwarten lässt, wenn keine kompensatorische Nutzung von Homeoffice erfolgt.
Demgegenüber sind Individuelle Betreuungsverpflichtungen, fehlende betriebliche Homeoffice-Policies, eine starke Wettbewerbsorientierung im Betrieb und (etwas schwächer) Managementstrategien indirekter Zielsteuerung konkordant mit ungünstigen Effekten des Arbeitens im Homeoffice assoziiert. Diese Merkmale sind somit sowohl indirekt (aufgrund höherer kompensatorischer Nutzungspraxis) als auch in direkter Weise mit tendenziell ungünstigen individuellen Effekten verknüpft.
Im Rahmen der Analysen wurden auch zwei Interaktionseffekte zwischen der individuellen Segmentationspräferenz und der Nutzungspraxis bestätigt. Demnach verstärkt sich der ungünstige Effekt einer kompensatorischen Nutzungspraxis für die mentale Distanzierungsfähigkeit und Work-Family Konflikte bei Arbeitnehmer/innen mit hoher Segmentationspräferenz, wogegen die Effekte bei jenen mit höherer Integrationspräferenz abgeschwächt werden.
Dass sich die kompensatorische Nutzungspraxis als deutlichster Prädiktor ungünstiger Effekte des Arbeitens im Homeoffice zeigt, verhält sich konform zu jenen früheren Untersuchungsresultaten, die zeigen, dass intensivere arbeitsbezogene Nutzung von Informationstechnologie an Abenden und Wochenenden und permanente Erreichbarkeit mit reduziertem Detachment sowie vermehrten Stressreaktionen und Work-Family Konflikten verbunden sind (Ghislieri et al. 2017; Žiedelis et al. 2022; Rau und Göllner 2019; Hu et al. 2019). Aus diesen Ergebnissen ist jedoch auch abzuleiten, dass es sich dabei nicht per se um ungünstige Effekte des Arbeitens im Homeoffice, sondern wohl eher um ungünstige Effekte von Arbeitsverdichtung und Intensivierung handelt zumal sich diese Nutzungspraxis stärker unter Bedingungen eines kompetitiven Organisationsklimas zeigt. Beide Merkmale (kompensatorische Nutzung und Wettbewerbsklima) sind auch mit einer erhöhten Präsentismusneigung assoziiert. Das verdichtet die frühere Vermutung von Steidelmüller et al. (2020), dass erhöhter Präsentismus bei Teleworkern eher eine Strategie der interessierten Selbstgefährdung unter Bedingungen hohen Wettbewerbs und indirekter Zielsteuerung (Dettmers et al. 2016) als eine unmittelbare Folge des Arbeitens im Homeoffice selbst darstellt.
Die Resultate legen auch nahe, dass das Arbeiten im Homeoffice günstige Effekte für Personen mit Integrations- aber eher ungünstige für jene mit Segmentationspräferenz zeigt. Es scheint zwar wenig wahrscheinlich, dass Personen mit hoher Segmentationspräferenz in postpandemischen Zeiten weiter freiwillig im Homeoffice arbeiten. Sollten diese jedoch z. B. aufgrund von Arbeitsverdichtung gezwungen sein, kompensatorisch im Homeoffice tätig zu sein, ist auch auf Basis der berichteten Interaktionseffekte mit besonders ungünstigen Auswirkungen zu rechnen.
Ungünstige Auswirkungen kompensatorischer Nutzung scheinen zwar bei Arbeitnehmer/innen mit Integrationspräferenz abgeschwächt zu sein. Relativierend ist jedoch anzumerken, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten eine Präferenz für Segmentation angeben, also Personen mit ausgeprägter Integrationspräferenz in der untersuchten Population eine Minderheit darstellen.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen auch, dass Personen mit Betreuungsverpflichtungen nicht von mobil-flexiblen Arbeitsformen profitieren konnten, sondern gegenteilig, erhöhte Work-Family Konflikte im Homeoffice wahrnehmen. Klarerweise sind hier zusätzliche Belastungen durch die Schließung von Schulen und Betreuungseinrichtungen im Zuge der Pandemie zu berücksichtigen. Dennoch sind diese Resultate konsistent mit früheren Forschungen wonach Homeoffice Interferenzen zwischen privaten und beruflichen Verpflichtungen verschärfen kann.
Eine wichtige Ableitung aus den vorliegenden Resultaten ist weiters, dass Organisationen, welche das Arbeiten im Homeoffice ermöglichen auch entsprechende Policies entwickeln sollten. Diese vereinbarten Regeln können die Handlungssicherheit erhöhen und sind mit günstigeren Auswirkungen und geringerer kompensatorischer Nutzungspraxis assoziiert.
Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass dem Arbeiten im Homeoffice von den befragten Beschäftigten überwiegend positive Wirkung zugeschrieben wird. Resultierende ungünstige Effekte (Technostress, mangelndes Detachment, Work-Family Konflikte und erhöhte Präsentismus Neigung) resultieren vorwiegend aus einer Nutzungspraxis, bei welcher Homeoffice ein Vehikel der Arbeitsintensivierung (Ausdehnung der regulären Arbeitszeiten die vor Ort erbracht werden, Ausführung nicht erledigter Arbeiten zu Hause, Ausdehnung der Erreichbarkeit) darstellt. Diese Nutzungspraxis wird durch starke Wettbewerbsorientierung von Seiten der Betriebe und durch eine ausgeprägte Integrationspräferenz bei Beschäftigten befördert. Zur Verhinderung negativer Effekte sollte Homeoffice daher durch klar kommunizierte Vereinbarungen auf Unternehmensebene flankiert sein, welche eine reguläre Nutzung mobil-flexibler Arbeitsformen unterstützt. Derartige Policies sollten somit klar signalisieren, dass Homeoffice eine Option zur tageweisen Verlagerung der Tätigkeit in private Sphären darstellt und nicht mit der Erwartung ausgedehnter Erreichbarkeit zusätzlicher Arbeitsleistung oder gar virtuellem Präsentismus verknüpft wird.
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Metadaten
Titel
Gekommen um zu bleiben: Was kann aus den Pandemieerfahrungen für die Auswirkungen und die positive Gestaltung des Arbeitens im Homeoffice gelernt werden?
verfasst von
Assoz. Univ-Prof. Dr. Joachim Gerich
Publikationsdatum
30.04.2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Zeitschrift für Arbeitswissenschaft
Print ISSN: 0340-2444
Elektronische ISSN: 2366-4681
DOI
https://doi.org/10.1007/s41449-024-00421-w

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