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Erschienen in: Publizistik 3/2018

13.06.2018 | Buchbesprechung

Katzenbach, Christian: Die Regeln digitaler Kommunikation. Governance zwischen Norm, Diskurs und Technik.

Wiesbaden: Springer VS 2018. 369 Seiten. Preis: € 59,99

verfasst von: Prof. Dr. Gerhard Vowe

Erschienen in: Publizistik | Ausgabe 3/2018

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Auszug

Der Titel des Werks ist irreführend: Wer erwartet, über Genese, Funktionen und Strukturen der Regeln für eine digitale Welt aufgeklärt zu werden, wird enttäuscht. Der gegenwärtige Umbruch medialer Kommunikation und ihrer Regeln ist für Christian Katzenbach Anstoß, nicht Gegenstand (S. 15). Stattdessen steckt er sich ein hohes Ziel von zentraler theoretischer, empirischer und auch politischer Bedeutung, und zwar die „Entwicklung einer eigenständigen kommunikationswissenschaftlichen Governance-Perspektive“ (S. 14). Dafür entfaltet er einen komplexen Governance-Begriff und stemmt drei theoretische Schwergewichte.
1.
Auf Basis eines soziologisch geprägten Verständnisses von Institutionen als Erwartungsmustern will er Governance als „reflexive Koordination“ verstanden wissen. Sie werde immer dann erforderlich, wenn Akteure ihre Handlungen nicht mehr routiniert abstimmen können, sondern die Regeln neu aushandeln und sich darüber zu verständigen haben. Im Anschluss an den Institutionenbegriff von Richard Scott differenziert Christian Katzenbach drei Dimensionen von Governance. Koordination verlaufe über (1) sanktionsbewehrte Regulative, (2) gemeinsame Orientierung an Normen und (3) geteilte kulturell-kognitive Muster. Der Anschluss an das soziologische Verständnis von Institution ermöglicht eine mikrotheoretische Fundierung von Governance. Sie wird damit verankert in den individuellen und alltäglichen Aushandlungen von Regeln der medialen Kommunikation. Damit will Christian Katzenbach den Governance-Begriff von der Orientierung auf kollektiv bindende Entscheidungen lösen (S. 124). Das bedeutet konkret: Wenn die Gattin entdeckt, dass der Gatte im Internet nach Pornographie sucht, und sich beide auf zukünftig geltende Regeln für diesen Teil ihrer Mediennutzung verständigen, dann wäre dies nach diesem Verständnis (Media‑)Governance; ebenso wie jeder Konflikt zwischen Eltern und Kindern über das Verhältnis von Online- und Offline-Aktivitäten. Ist es sinnvoll, den Governance-Begriff und damit den Politikbegriff so auszuweiten? Zumindest ist es anregend, um zu neuen Unterscheidungen zu kommen, denn jede Ausweitung verschleift ja Unterschiede, etwa die zwischen lebensweltlicher und systemischer Regelung.
 
2.
Christian Katzenbach schlägt einen weiten Bogen zur Techniksoziologie und verknüpft technizistische und kulturalistische Perspektiven auf den sozio-technischen Wandel. Ergebnis ist im Hinblick auf Governance, dass Technik auch als Mittel und Form von Regelung gesehen wird, nicht nur als Auslöser und als Gegenstand von Regelung (S. 204). Technik bildet somit eine vierte Dimension der Prozesse von Institutionalisierung und De-Institutionalisierung und damit von Governance. Nicht nur kodifizierte Regeln oder kulturell verankerte Erwartungen, sondern auch technische Geräte und Verfahren treiben und hemmen Handlungsmuster. Empirisch wäre zu klären, welche der vier Dimensionen von Governance sich schneller verändert, größere Kraft entfaltet, mehr Varianz zwischen kulturellen Räumen oder politischen Ebenen erzeugt.
 
3.
Sein Vorschlag, Governance als „reflexive Koordination“ zu verstehen, eröffnet die Möglichkeit, Governance nicht nur auf im engeren Sinne kommunikationspolitische Probleme zu beziehen, also etwa auf die verbindliche Verteilung knapper medialer Ressourcen, wie der Adressen im Internet. Vielmehr lässt sich auf dieser Basis auch ein Begriff der generellen Regelung durch Kommunikation denken („kommunikative Konstruktion der Koordinations- und Regulierungsstrukturen“ – S. 79). Diese genuin kommunikationswissenschaftliche Fassung von Governance wird skizziert, aber nicht ausgearbeitet. Um eine derartige Verzahnung von Kommunikationspolitik und politischer Kommunikation zu einem eigenständigen theoretischen Fundament zu entwickeln, wäre ein Anschluss an die Policy-Forschung sinnvoll gewesen, in der neben regulativen und distributiven eben auch kommunikative (und performative) Instrumente entwickelt wurden, um politische Ziele zu erreichen. Vor allem aber würde eine Ausarbeitung den Anschluss an die Deliberationsforschung erfordern. Denn gerade die kommunikative Fundierung von Regeln ist ja die politische Konsequenz aus der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas: Verständigung über Regeln in öffentlicher Kommunikation. Mit Deliberation verbindet sich mittlerweile eine blühende empirische Forschung zu politischen Online-Debatten – mit dem Fokus auf den Regeln dieser Debatten und ohne dies auf Eliten zu verengen. Christian Katzenbach verweist mit „Diskurs“ im Untertitel auf diesen starken Theoriestrang; der Begriff verschwindet dann aber wieder. Für eine Integration von Deliberation in das Governance-Konzept hat die Kraft nicht gereicht.
 

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Metadaten
Titel
Katzenbach, Christian: Die Regeln digitaler Kommunikation. Governance zwischen Norm, Diskurs und Technik.
Wiesbaden: Springer VS 2018. 369 Seiten. Preis: € 59,99
verfasst von
Prof. Dr. Gerhard Vowe
Publikationsdatum
13.06.2018
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Publizistik / Ausgabe 3/2018
Print ISSN: 0033-4006
Elektronische ISSN: 1862-2569
DOI
https://doi.org/10.1007/s11616-018-0432-2

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