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Erschienen in: Wirtschaftsinformatik & Management 1/2023

Open Access 18.01.2023 | Schwerpunkt

Metaverse: Hype oder Wendepunkt?

verfasst von: Prof. Dr. Thomas Metzler

Erschienen in: Wirtschaftsinformatik & Management | Ausgabe 1/2023

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Zu diesem Beitrag ist ein Erratum online unter https://​doi.​org/​10.​1365/​s35764-023-00458-2 zu finden.
Das Metaverse – ist es ein Hype oder ein Wendepunkt, der den Beginn eines neuen Zeitalters einläutet? Ein Kommentar von Prof. Dr. Thomas Metzler.
Wenn der Harvard-Professor Howard Stevenson von Wendepunkten spricht, denkt er an Veränderungen, die dramatische Auswirkungen mit sich bringen. Diese Wendepunkte können auf Branchen oder auf die Menschheit weitreichende Wirkungen entfalten, treten aber nur selten auf, wie beispielsweise das World Wide Web, Smartphones oder soziale Netzwerke. Rückblickend gesehen erscheint es offensichtlich, dass sich diese Entwicklungen durchgesetzt haben, einen Wendepunkt bedeuteten. Meist werden Wendepunkte jedoch erst im Nachhinein erkannt. Historisch dokumentiert ist dies unter anderem in Aussagen von Zukunftsforschern, die noch um die Jahrtausendwende dem World Wide Web keine Chance gaben, ein Massenmedium zu werden, oder in Kommentaren von Marketingexperten, die soziale Netzwerke in ihren frühen Phasen belächelten. Sogar einflussreiche Tech-Größen, mit allen verfügbaren Ressourcen zur Analyse von Entwicklungen, können Wendepunkte übersehen. So geschehen im Fall von Steve Ballmer, langjähriger CEO von Microsoft. Kurz nachdem Steve Jobs 2007 das erste iPhone  von Apple (Cupertino, Kalifornien, USA) präsentierte, stellt Ballmer diesem keine gute Prognose aus, denn ohne Tastatur ist es keine gute E‑Mail-Maschine, die Geschäftsleute werden es daher nicht mögen. Kaum jemand konnte damals ahnen, wie sehr sich Ballmer irrte. Wenn insofern einer der führenden Tech-Unternehmer unserer Zeit, Elon Musk, in einem Interview zu seiner Einschätzung des Metaverse gefragt wird und er antwortet, er kann nicht erkennen wohin die Metaverse-Entwicklung führen soll und er glaube nicht daran, dass sich Menschen freiwillig einen Bildschirm unmittelbar vor die Augen geben, dann sollte seine kritische Perspektive durchaus auch kritisch vor dem Hintergrund vergangener Wendepunkte und der prognostischen Qualität vergangener Experten und Expertinnen betrachtet werden.
Spätestens seit Clayton Christensens Forschungen zu disruptiven Innovationen wissen wir, dass diese ihren Siegeszug aus einer Nische beginnen, bevor sie bestehende Märkte völlig umkrempeln und zahlreiche Marktteilnehmer obsolet machen. Es ist in seiner Theorie sogar beschrieben, dass disruptive Technologien in ihren Anfangsstadien den bestehenden Technologien unterlegen sind. Die erste Mobiltelefonkamera wurde 1999 von einem japanischen Hersteller verbaut und hatte eine Auflösung von 0,11 Megapixel. Die aktuelle iPhone Pro Kamera leistet eine Auflösung von 48 Megapixel. Im Jahr 1999 hat wohl kaum jemand ernsthaft darüber nachgedacht, ob Mobiltelefonkameras irgendwann die klassischen Kameras ersetzen. Wenn Marc Zuckerberg insofern heute Bilder von comichaften Avataren aus den virtuellen Welten des Meta-Konzerns veröffentlicht und dafür von der Presse und auf sozialen Netzwerken zerrissen wird, stellt sich die Frage, ob wir uns einfach nur in einer sehr frühen Phase einer disruptiven Innovation befinden und ob Beobachter:innen statt einer Beurteilung des Status quo nicht ihren Blick eher in eine mögliche Zukunft des Metaverse richten sollten. Und mit Zukunft ist nicht nächstes Jahr gemeint, sondern eher eine Perspektive von 5 bis 10 Jahren. Sogar Zuckerberg erläutert in einem Gespräch mit Investoren und Investorinnen, dass in den nächsten Jahren die technologischen und marktseitigen Grundlagen für das Metaverse geschaffen werden und dass er eine sehr erfolgreiche Geschäftsentwicklung in den 2030er-Jahren erwartet. Das bedeutet nicht, dass bis dahin nichts im Metaverse passieren wird, sondern dass Meta langfristige Investitionen zur Entwicklung der nötigen Technologien und für den Marktaufbau vorsieht. Das Unternehmen investiert aktuell jährlich über 10 Mrd. Dollar in die Entwicklung von Metaverse bezogenen Technologien. Aber auch andere große Tech-Konzerne investieren Milliarden in das Metaverse. Microsoft plant mit einer 68,7-Mrd.-Dollar-Übernahme von Activision Blizzard die größte Akquisition in der Historie des Unternehmens. In einer Presseaussendung schreibt der Tech-Konzern, dass die Akquise unter anderem einen Grundstein für die Metaverse-Bestrebungen Microsofts liefert. Und auch andere große Tech-Unternehmen wie Apple, Nvidia, Epic Games oder Alphabet tätigen beachtliche Investitionen in diesen Bereich. Viele der großen Stakeholder bereiten sich insofern auf eine Welt vor, in der das Metaverse einen Wendepunkt darstellt und welche durch das Metaverse weitreichend verändert wird, was jedoch nicht bedeuten muss, dass dieses Szenario eintrifft.
Aktuell ist das Metaverse mehr Vision als Realität, auch wenn viele Marktteilnehmer:innen ihre isolierten, virtuellen Welten nun als das Metaverse vermarkten. Virtuelle Welten sind aber nichts Neues. Second Life, eine der bekanntesten virtuellen Welten, wurde bereits 2003 gegründet und ist heute sogar noch online. Doch auch wenn die Vision eines interoperablen, persistenten und skalierbaren Metaverse noch Jahre entfernt ist, ermöglichen die aktuellen technologischen Fortschritte jetzt schon die Entwicklung neuartiger Erlebnisse. Und viele Unternehmer:innen und Markenverantwortliche suchen die Chancen, die sich hieraus ergeben können. So experimentieren bekannte Brands beispielsweise in virtuellen Welten, wie Gucci in Roblox, Samsung in Decentraland oder Ferrari in Fortnite. Sie kreieren virtuelle Erlebnisse, kaufen virtuelles Land, veranstalten virtuelle Events oder eröffnen virtuelle Shops. Viele Unternehmen sind bei der Publikation der Ergebnisse ihrer Metaverse-Aktivitäten jedoch zurückhaltend, daher müssen interessierte Marktbeobachter:innen häufig selbst eine Einschätzung treffen. Meiner Beobachtung nach ergibt sich ein Bild, in dem ein Engagement in virtuellen Welten keineswegs ein Selbstläufer ist und viele Aktivitäten vermutlich hinter ihren Erwartungen zurückbleiben, sollten diese in finanziellen und nicht in Entwicklungszielen formuliert sein. Manager:innen sollten sich folglich gut überlegen, welchen Zweck sie mit ihren Metaverse-Aktivitäten verfolgen.
Ein Metaverse-Anwendungsfall, der weniger stark medial begleitet wird, aber meines Erachtens durchaus Potenzial hat, ist die Anwendung von Metaverse-Technologien für den Arbeitsalltag. Denn während Tech-Unternehmen und Start-ups ihre Mitarbeiter:innen viele Jahre lang mit zahlreichen attraktiven Zusatzleistungen (kostenloses Essen, kostenloses Fitnesscenter etc.) in ihre Offices gelockt haben, ist nun vermehrt der Wunsch nach völliger Flexibilität bei der Arbeitsgestaltung zu beobachten. Sichtbar wurde dies u. a. in einem offenen Brief von Apple Mitarbeiter:innen, die eindrücklich an ihr Management appellierten („Office-bound work is a technology from the last century“), die zunehmend eingeforderte physische Rückkehr in die Apple Offices nach Beendigung der strengen COVID-Sicherheitsmaßnahmen zu überdenken.
Um sich folglich als Arbeitgeber:in stärker zu differenzieren und Talente zu gewinnen, könnte eine völlige Flexibilisierung des Arbeitsortes eine Entwicklung in der Arbeitswelt sein, die beginnend in der Tech-Branche Einzug hält. Metaverse-Technologien werden womöglich zu einer Grundlage für Remote Work und eine Alternative zu Videokonferenzen. Auch hardwareseitig besteht die Möglichkeit, dass Headsets neue Marktverhältnisse eröffnen. Nach Zuckerberg werden jedes Jahr 200 Mio. neue PCs verkauft und Meta will sich mit seinem neuen Mixed Reality Headset einen Teil dieses Kuchens sichern, insbesondere im beruflichen Kontext („Work in the metaverse is a big theme for Quest Pro“). Das Beratungsunternehmen Accenture hat jedenfalls bereits 60.000 Meta Quest 2 Headsets von Meta angeschafft und damit 150.000 Mitarbeiter:innen im Onboarding-Prozess in ihrem virtuellen Office empfangen. Der Trend zu mehr Flexibilität in der Arbeit und die Möglichkeit Metaverse bezogene Technologien jenseits des Massenmarkts bereits jetzt sinnstiftend in einzelnen Organisationen umzusetzen, könnte förderlich für deren Nutzung und Verbreitung sein. Sollten neue Headsets in den nächsten 5–10 Jahren eine Rolle als Substitute für PCs oder Mobiltelefone einnehmen, wäre dies jedenfalls ein großer Schritt auf dem Weg einen Wendepunkt einzuläuten.
Die nächsten Jahre werden in Bezug auf das Metaverse sicherlich interessant und ereignisreich. Aber auch wenn aus aktueller Sicht noch nicht klar ist, ob das Metaverse einen Wendepunkt darstellt, sollten Unternehmen mit dem Aufbau von Metaverse-Kompetenzen beginnen, denn die Dynamik in diesem Themenfeld ist sehr hoch und es entstehen bereits heute zahlreiche relevante Möglichkeiten, die es zumindest wahrzunehmen, zu evaluieren und womöglich zu nutzen gilt. Der Aufbau von Metaverse-Kompetenzen ist daher aus meiner Sicht, trotz der ungewissen Zukunft des Metaverse, ein sinnvolles Zukunftsinvest.
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Metadaten
Titel
Metaverse: Hype oder Wendepunkt?
verfasst von
Prof. Dr. Thomas Metzler
Publikationsdatum
18.01.2023
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Wirtschaftsinformatik & Management / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 1867-5905
Elektronische ISSN: 1867-5913
DOI
https://doi.org/10.1365/s35764-022-00447-x

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