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Erschienen in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 2/2022

Open Access 22.05.2022 | Replik

Resümee zu den Stellungnahmen

verfasst von: Yvonne Ferreira, Joachim Vogt

Erschienen in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft | Ausgabe 2/2022

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Für die starke Resonanz auf unseren Beitrag „Psychische Belastung und deren Herausforderungen“ bedanken wir uns. Nur im wissenschaftlichen Disput lassen sich Theorien diskutieren und Modelle weiterentwickeln oder falsifizieren.
Gerne möchten wir daher die aufgeworfenen Kritikpunkte zusammenfassen und thematisieren mit der ausdrücklichen Aufforderung und Bitte, sich auch weiterhin an dieser Diskussion zu beteiligen, um eine definitorische und konzeptionelle Weiterentwicklung für die (Arbeits)wissenschaft und die betriebliche Praxis erarbeiten zu können.
Einig sind sich alle Kommentator/-innen, dass die Terminologie im Bereich der Belastung-Beanspruchung-Diskussion zu uneinheitlich und teilweise missverständlich ist. Allen Stellungnahmen gemeinsam ist der Wunsch nach Vereinheitlichung und präziser(er) Definitionen und Modellkonstruktion.
Das von uns entwickelte Arbeitsmodell wird kritisch hinterfragt. Gerne möchten wir auf einige Hinweise eingehen, um auch weitere Forschende oder Anwendende zu Stellungnahmen zu motivieren, für die die Zeitschrift für Arbeitswissenschaft offen ist.
Schütte bemängelt die Aufnahme der Terminologien „Belastungsfolgen“ und „Fehlbelastung“ und verweist dabei auf die Gefahr, dass die Neutralität des Belastungsbegriffs zugunsten einer „negativen Konnotation des Belastungsbegriffs in der Umgangssprache“ verloren geht. Daher möchten wir den Sinn dieser Erweiterungen in unserem Arbeitsmodell nochmals versuchen zu verdeutlichen.
Die Notwendigkeit zur Entwicklung des vorgestellten Arbeitsmodells ergibt sich aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG, 2015). Der Gesetzgeber verweist auf die Gefährdung durch psychische Belastung1 bei der Arbeit (§ 5, (3) 6. „Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch … psychische Belastungen bei der Arbeit“). Demzufolge sind Gefährdungen aufgrund von Belastungsfaktoren zu erwarten. Dies jedoch widerspricht dem neutralen Gedanken von Belastung gemäß dem Belastungs-Beanspruchungs-Modell. Daher postuliert unser Arbeitsmodell nicht, dass psychische Belastung zu Gefährdung führt, sondern, dass psychische Belastung(sfaktoren) Folgen mit sich bringen. Dies ist nachvollziehbar und legitim und steht nicht dem neutralen Belastungsbegriff entgegen. Folgen von Belastung werden daher auch entweder als positiv beschrieben oder als negativ im Sinne einer Fehlbelastung. Diese kann zur Gefährdung führen.
Die Erweiterung des Modells durch Folgen der Belastung ist nach Auffassung der Verfassenden ein sinnvoller Weg, um Belastungsfaktoren untersuchen zu können, die zur Gefährdung führen – und genau das fordert das Arbeitsschutzgesetz. Auch hier spricht das Arbeitsschutzgesetz eindeutig von Belastung, denn die Gefährdung ist auf der Belastungsseite zu verorten, während die Schädigung auf der Beanspruchungsseite (als Folge der Belastung) zu finden ist. Der Terminus „Gefährdung“ ist daher – wie von Schütte bestätigt – ein Terminus, der die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines gesundheitlichen Schadens beschreibt.
Schütte bemängelt weiterhin die Begrifflichkeit „Belastungsfolgen“, weil damit auch beispielsweise eine Reihenfolge im Sinne einer Sequenz von Belastungsfaktoren verstanden werden kann. Dem stimmen wir dankend zu und schlagen die Begrifflichkeit „Folgen2 der Belastung“ vor.
Ziel des Arbeitsmodells ist es, Grenzwerte psychischer Belastung untersuchen zu können. Diese Grenzwerte jedoch können nicht am Individuum festgemacht werden, sondern an einer Vergleichspopulation. Von dieser soll dann – gemäß Arbeitsmodell – auf Fehlbelastung zurückgeschlossen werden können. Fehlbelastung ist daher etwas anderes, als Fehlbeanspruchung (obgleich die Definition nicht ohne Fehlbeanspruchung erfolgen kann). Nun kann man argumentieren, dass es sich hierbei um einen Zirkelschluss handelt – dem widersprechen wir aber. Während sich auf der Beanspruchungsseite individuelle Fähigkeiten, Fertigkeiten, Merkmale, Einstellungen usw. manifestieren, sollen diese auf der Belastungsseite über die Vergleichspopulation statistisch ausgeschlossen werden. Demzufolge führt eine Fehlbelastung bei dem Großteil der Vergleichspopulation zu einer Gefährdung. Die Vermeidung genau dieser Fehlbelastung und die daraus resultierende Gefährdung ist, was das Arbeitsschutzgesetz fordert. Es wird gefordert, dass wissenschaftlich erforscht wird, welche Belastung (Intensität, Art, zeitliche Struktur der Einwirkung …) zu einer Gefährdung führt. Und um dies untersuchen zu können, bedarf es der Unterscheidung zwischen Fehlbelastung und Fehlbeanspruchung. Somit handelt es sich weder um einen Zirkelschluss, noch um eine Doppelung der Begrifflichkeiten.
Somit wird auch klar, wie Belastungsfolge (jetzt: Folgen von Belastung) sich von Fehlbelastung unterscheidet: Eine Folge von Belastung kann auch positiv sein, während eine Fehlbelastung ausschließlich zur Gefährdung führt.
Die Kritik, dass sowohl Fehlbeanspruchung als auch Fehlbelastung zu beeinträchtigenden menschbezogenen Konsequenzen führen und daher nicht voneinander abzugrenzen sind, wäre nur dann zutreffend, wenn die Fehlbelastung ebenfalls interindividuell und intraindividuell unterschiedlich auf alle Individuen einwirken würde. Belastung jedoch ist eine außerindividuelle Komponente des Belastungs-Beanspruchungs-Modells. Fehlbelastung (die noch zu definieren ist und damit zu Grenzwerten führen soll) ist für eine Zielpopulation (z. B. Piloten und Pilotinnen) von Menschen zu definieren. Die Fehlbeanspruchung ist individuell zu verstehen. Diese deutliche Unterscheidung muss vorgenommen werden, um – im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes – Belastungs(faktoren) hinsichtlich ihrer Gefährdung beurteilen zu können.
Anhand der Erläuterungen von Nachreiner, der zusammenfasst dass „… das S‑O‑R Modell mit seiner klaren Trennung von außerhalb der Person liegenden Stimulusbedingungen (= Belastung), die im Organismus vorhandenen Bedingungen und darauf ablaufenden Verarbeitungsprozesse (= Beanspruchung) und die daraus resultierenden Folgen (= Reaktionen) für das Individuum und seine Umwelt“ beschreibt, kann der Bezug zum Arbeitsmodell verdeutlicht werden: Das Ziel des Arbeitsmodells ist es, Stimulusbedingungen zu definieren, die bestenfalls keine Gefährdung für die Zielpopulation hervorrufen. Die Stimulusbedingungen dürfen daher zu keiner Gefährdung in der Referenzpopulation führen.
Natürlich folgen wir der Auffassung Nachreiners, dass es messmethodische Herausforderungen zur Erfassung der Gesamtheit aller erfassbaren Einwirkungen gibt. Dennoch können und dürfen „inhaltliche und methodische Probleme“ kein Ausschlusskriterium sein, zumindest Konzepte zu entwickeln, und diese empirisch zu testen, was unsere Absicht ist.
Der Kritik Nachreiners, dass Ressourcen letztendlich Belastungsfaktoren sind, folgen wir nach längerer Diskussion und auch der Aufarbeitung unserer empirischen Daten. Auch Rau unterstützt diesen Gedankengang, indem sie herausarbeitet, dass Ressourcen als positiv gelten und daher eine Bewertung der neutralen Belastung vorweggenommen wird. Weitere Betrachtungen der Modellkonstruktion müssen hier noch mehr Klarheit bringen. Basierend auf dem Belastungs-Beanspruchungs-Modell jedoch ist diese Auffassung modellkonform und wird zu einer Anpassung des Arbeitsmodells führen. Rau arbeitet in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll heraus, dass nicht nur vorhandene Belastungsfaktoren betrachtet werden sollten, sondern ebenso fehlende (beispielsweise fehlende Rückmeldungen).
Die Stellungnahme von Beermann verdeutlicht und unterstreicht nochmals die Notwendigkeit der Einigung auf Terminologien innerhalb der wissenschaftlichen Community, aber auch in der Kommunikation mit den Betrieben. Ebenso wie Nachreiner wirft sie die Frage der quantitativen und qualitativen Eingrenzung psychischer Belastungsfaktoren auf. Rau stellt hierzu fest, dass durch den stetigen Wandel der Arbeitswelt keine vollständige Übersicht aller psychischen Belastungsfaktoren erstellt werden kann.
Rau kritisiert, dass es keiner neuen Begriffe oder Modelle für die Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen bedarf. Dies mag auf den von ihr sehr interessant dargestellten Zusammenhang zwischen psychischen Belastungsfaktoren und stressassoziierten Erkrankungen zutreffen. Unser Modell jedoch zielt auf die Bestimmung von Grenzwerten ab. Wir verfolgen das Ziel, Belastungsfaktoren bezogen auf eine menschliche Zielpopulation derart zu gestalten, dass keine Gefährdung entstehen kann. Hierfür bedarf es erweiterter Betrachtungen und einer klaren Terminologie und Modellkonstruktion und deren Akzeptanz.
Die Forschung und der wissenschaftliche Disput müssen weitergehen. Wir möchten uns für die sehr sachlichen und zielführenden Stellungnahmen bedanken, die zu neuen Überlegungen geführt haben und abermals zeigen, dass die Wissenschaft vom aktiven Austausch lebt.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Auch in diesem Resümee verwenden wir gemäß DIN ISO 10075‑1 den Begriff „Belastung“ wie gefordert im Singular, unabhängig davon, ob die zitierte Quelle sich ebenfalls an diese Regel hält.
 
2
im Sinne von Auswirkung.
 
Metadaten
Titel
Resümee zu den Stellungnahmen
verfasst von
Yvonne Ferreira
Joachim Vogt
Publikationsdatum
22.05.2022
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Zeitschrift für Arbeitswissenschaft / Ausgabe 2/2022
Print ISSN: 0340-2444
Elektronische ISSN: 2366-4681
DOI
https://doi.org/10.1007/s41449-022-00314-w

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