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16.02.2022 | Sensorik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wie Teslas Verzicht auf Radar einzuschätzen ist

verfasst von: Christiane Köllner

6 Min. Lesedauer

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Tesla will seinen radargestützten Autopiloten durch "Tesla Vision" ersetzen. Das neue System verzichtet auf Radar und verlässt sich alleine auf Kamera- und Ultraschall-Sensorik. Eine sinnvolle Strategie? 

Update vom 28.07.2023: Tesla setzt offenbar wieder auf Radar. Nach Informationen des "Handelsblatts" würden Fachleute damit rechnen, dass Tesla-Chef Elon Musk bald damit beginnt, ein selbst entwickeltes, hochauflösendes Radarsystem in seine Autos einzubauen. Darauf sollen Unterlagen hindeuten, die Tesla bei der US-Aufsicht Federal Communications Commission (FCC) eingereicht hat.

Für viele Automotive-Experten ist klar: Das automatisierte Fahren benötigt eine Vielzahl von unterschiedlichen Hochleistungs-Sensoren, die eine möglichst robuste Umfeld- und Objekterkennung für Fahrzeuge ermöglichen sollen. Tesla schlägt nun einen anderen Kurs ein. Während Tesla-CEO Elon Musk bereits in der Vergangenheit Lidar-Sensoren als "teuer" und "unnötig" bezeichnete, so will er seit letztem Jahr auch auf das Radar verzichten. Der US-amerikanische Elektroautohersteller will sich stattdessen auf Kamera- und Ultraschall-Sensorik verlassen. 

Tesla hatte Anfang 2021 darüber informiert, dass das Unternehmen den Übergang zu "Tesla Vision", einem kamerabasierten Autopilot-System, fortsetze. So seien die für den nordamerikanischen Markt gebauten Model 3 und Model Y ab den Auslieferungen im Mai 2021 nicht mehr mit Radar ausgestattet. Stattdessen wolle Tesla in erster Linie auf eine kamerabasierte Bildverarbeitung der Umgebung und Auswertungen durch neuronale Netze setzen. Acht Kameras sollen laut dem Autobauer eine 360°-Überwachung der Fahrzeugumgebung mit bis zu 250 m Reichweite ermöglichen. Ergänzend kommen zwölf Ultraschallsensoren hinzu. 

Empfehlung der Redaktion

01.10.2021 | The Hansen Report

on Automotive Electronics

Anfang des Jahres traf Tesla die gewagte Entscheidung, seine für den nordamerikanischen Markt be stimmten Fahrzeuge nicht mehr mit Radar auszustatten. Die Autopilot-Funktion soll allein auf Kameras und Auswertungen durch neuronale Netze zurückgreifen.

Gründe für Teslas Verzicht auf Radar

Mit welcher Begründung geht Tesla diesen im Branchenvergleich ungewöhnlichen Schritt? Laut Elon Musk "ist die Sicherheitsquote bei reinem Einsatz von Vision höher als bei Vision mit Radar", wie ihn Paul Hansen im The Hansen Report on Automotive Electronics aus der ATZelektronik 10-2021 zitiert. Wie Hansen erläutert, habe Tesla seine Kamerasysteme erheblich verbessern und aufzeigen können, dass das Radarsystem nicht genügend zur Sicherheit beigetragen habe. "Die Kameras des Unternehmens sollen bald Handgesten, Blaulicht, Fahrzeuge mit eingeschalteter Warnblinkanlage sowie Blinker erkennen können. Das bisher von Tesla eingesetzte Radar ist technisch veraltet. Statt auf ein moderneres Radar aufzurüsten, entschied sich das Unternehmen, auf diesen Sensor zu verzichten und damit für eine erhebliche Kosteneinsparung", so Hansen. Bei hohen Stückzahlen soll der Preis für ein Mittelbereichsradar zwischen 40 und 70 US-Dollar liegen. Ein Langstreckenradar koste 100 bis 200 US-Dollar oder mehr.

Bestätigung erhielt Musk von den Behörden: "Das Insurance Institute for Highway Safety zog seine Sicherheits-Höchstbewertung für Teslas Model 3 zunächst zurück, bestätigte sie aber nach erneuten Tests wieder und erklärte, dass die aktiven Sicherheitsfunktionen im Model 3 mindestens so gut seien wie solche, die auf Radar basieren", so Hansen.

Keine Blaupause für andere Autobauer

Bislang gibt es wohl aber keinen anderen Autohersteller, der den Tesla-Ansatz verfolgt. Phil Amsrud, Senior Principal Analyst für den Bereich Automotive bei IHS Markit, habe auf die Frage, so Hansen, wie er die Wahrscheinlichkeit einschätze, dass andere Autohersteller reine Kameralösungen ähnlich der von Tesla einführen werden, geantwortet: "‘Neben Tesla könnten einige OEMs die Einführung von reinen L2+ Kamerasystemen in Betracht ziehen. Alles, was über L2+ hinausgeht, wird eine kombinierte modale Lösung erfordern. (...) Wenn ein OEM das Auto zukunftssicher machen will, wird er mehr als nur Kameras wollen, um einen Upgrade-Pfad zu ermöglichen.‘"

Gegen eine reine Kameralösung spricht, dass es bislang keinen perfekten Sensor für Fahrerassistenzsysteme und das automatisierte Fahren gibt. Unterschiedliche Sensormodalitäten ergänzen sich vielmehr gegenseitig. So wird zum Beispiel das Radar – im Gegensatz zur Kamera – nicht von schlechten Licht- und Sichtverhältnissen beeinträchtigt. Und mithilfe von Lidar können Daten mit sehr hoher Genauigkeit schnell erfasst werden. Daher setzt Mercedes-Benz in der S-Klasse auch auf den sogenannten "Drive Pilot". Zur Erfassung der Fahrzeugumgebung verfüge dieses System "über ein Sensorset aus Radarsensoren, Kameras, Lidar-Sensor, Ultraschallsensoren und Mikrofonen", wie Mercedes-Benz im Artikel Aktive Sicherheit und Fahrassistenzsysteme in neuer Dimension aus dem ATZextra Die neue S-Klasse von Mercedes-Benz erklärt. Für die S-Klasse mit Drive Pilot hat Mercedes-Benz Ende vergangenen Jahres als erster Autohersteller weltweit die Genehmigung erhalten, Fahrzeuge zu verkaufen, die automatisiert nach Level 3 fahren.

Nachfrage nach Radar steigt

Auch die Nachfrage nach Radargeräten hat trotz Teslas Positionierung noch nicht nachgelassen. "Vielmehr verzeichnet der Markt für Radarsysteme ein schnelles Wachstum", so Paul Hansen im gleichnamigen Report. NXP sehe eine jährliche Wachstumsrate von 20 % für den Radarmarkt insgesamt, so Matthias Feulner, Senior Director of ADAS bei NXP im Hansen-Report. Das Radargeschäft von NXP wachse sogar noch schneller; man gehe von einer Wachstumsrate von 30 % pro Jahr aus. Sharath Reddy, SVP von Magna Electronics, betont ebenfalls, dass der Radarmarkt weiterhin wachsen wird – "vor allem, weil die Autohersteller bestrebt sind, die strengeren Sicherheitsanforderungen von Euro NCAP für 2022 und 2024 zu erfüllen", heißt es im Hansen-Report. 

Auch der Marktanalyst IDTechEx geht von einem Wachstum aus. Laut der IDTechEx-Studie "Automotive Radar 2022-2042" wird die Anzahl der Radargeräte pro Fahrzeug sogar noch steigen. Während heute mehr als 50 % der Neufahrzeuge mit einem oder mehreren Radargeräten ausgeliefert werden, sollen bis 2042 alle Neufahrzeuge mit mehreren Radargeräten ausgestattet sein. Auch habe sich die Leistungsfähigkeit von Radarsensoren in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert. Der Wechsel von SiGe-BiCMOS-basierten Transceivern zu Si-CMOS sei einer der wichtigsten Faktoren für zukünftige Leistungssteigerungen.

Sicherheit durch Sensorfusion 

Statt auf einzelne, separate Sensoren zu setzen, geht der Trend vielmehr in Richtung Sensorfusion, also der Verknüpfung von Daten aus unterschiedlichen Sensoren oder Informationsquellen, um zu einer präzisen Zustandsschätzung zu gelangen. "Wo Radar, Kameras und Ultraschallsensoren in der Vergangenheit für voneinander unabhängige Funktionen verwendet wurden, können mittlerweile alle relevanten Daten mittels Sensorfusion intelligent und zeitgleich verknüpft werden", erläutert Springer-Autor Michael Nolting im Kapitel Autonomes Fahren und Künstliche Intelligenz des Buchs Künstliche Intelligenz in der Automobilindustrie das Prinzip. Dies ermögliche erst das automatisierte Fahren, da hierdurch eine robuste Objekterkennung möglich sei. 

Matthias Feulner von NXP erklärt im Hansen-Report: "Es gibt keinen perfekten Sensor; sie müssen sich alle mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen ergänzen. (...) Wir sehen keinen Trend hin zu reinen Kamerasystemen". NXP stellt daher Chipsätze sowohl für Radar- als auch für Kamerasensoren her. Auch Sharath Reddy von Magna Electronics resümiert: "Jeder der Sensoren hat abhängig von den Straßen- und Wetterbedingungen seine Schwächen und Stärken. Man kann sich nicht auf eine einzige Sensormodalität verlassen." 

Fazit

Inwieweit Teslas Strategie, auf Radar zu verzichten, aufgehen wird, bleibt abzuwarten. Laut IDTechEx könnte Tesla durchaus in der Lage sein, ohne Radar auszukommen. Allerdings werde dies das Leistungspotenzial von Tesla beeinträchtigen. Kämen leistungsfähigere Radargeräte auf den Markt, könnte Tesla seine Entscheidung möglicherweise überdenken, so der Marktanalyst. Ein Trend für die Branche scheint Teslas Weg aber nicht zu sein. Bislang setzen europäische Hersteller noch stark auf eine Kombination aus Radar, Lidar und Co. Sie sehen gerade in der Sensorfusion einen Schlüssel für das automatisierte Fahren.

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