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05.10.2023 | Internet der Dinge | Im Fokus | Online-Artikel

Industrial Metaverse als Joker für die Industrie?

verfasst von: Thomas Siebel

4:30 Min. Lesedauer

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Im Industrial Metaverse interagiert der Mensch mit digitalen Zwillingen und steuert so Prozesse in der realen Welt. Die Potenziale für Entwicklung, Fabrikplanung und Wartung sind groß, die Herausforderungen aber auch.

Physische Maschinen und Materialien verschmelzen mit ihren digitalen Abbilder in der virtuellen Welt, und der Mensch steht mittendrin – beobachtet, steuert, gestaltet. Vorstufen dessen, was Neil Stephenson zu Beginn des Internetzeitalters in seinem Science-Fiction-Roman Snow Crash als Metaverse beschrieb und spätestens seit der Umbenennung von Facebook in Meta im Jahr 2021 einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein rückte, findet sich bereits heute in der Industrie wieder.

Das Eingangstor zur virtuellen Welt bilden dabei in der Regel Technologien der Extended Reality (XR), zu denen Augmented (AR) und Virtual Reality (VR) gehören. Beispielsweise nutzen Mitarbeiter der Deutschen Bahn in der Instandhaltung von Zügen bereits AR-Brillen, die Defekte am Zug automatisiert erkennen. Eine KI durchforstet dann die hinterlegten Arbeitsanweisungen und blendet dem Mitarbeitenden die relevanten Informationen zur Behebung des Schadens ins Sichtfeld ein.

Instandhaltung an weit entfernten Orten

In einem anderen Szenario nutzt der Kompressorenhersteller Burckhardt Compression in Zusammenarbeit mit HTC das Metaversum für die Instandhaltung. Techniker werden virtuell an weitentfernte Orte gebracht, beispielsweise auf ein Schiff im Atlantik. Smartphones mit Lidar-Sensoren scannen auf dem Schiff die Umgebung, sodass der Remote-Experte sich ein detailliertes Bild machen kann und Personen vor Ort – über den virtuellen Raum – über die nötigen Reparaturschritte instruieren kann.

Trotz einiger Erfolgsgeschichten handelt es sich bei vielen Anwendungen, die dem Industrial Metaverse zugeschrieben werden, in Wirklichkeit jedoch noch um digitale Zwillinge, cyberphysische Systeme oder XR-Systeme, die eine echte Interaktion zwischen Mensch, Bauteil und Maschine  – gewissermaßen ein Human-in-the-Loop-Modell – noch nicht unterstützen. Das eigentlich Potenzial des Industrial Metaverse für Konstruktion, Wartung und Reparatur, Produkttests sowie Aus- und Weiterbildung ist damit heute noch weitgehend unerschlossen.  

Bitkom: "Enormes Potenzial" für den Wirtschaftsstandort

In einem aktuellen Leitfaden zählt der Digitalverband Bitkom einige mögliche Use Cases für das Industrial Metaverse in unterschiedliche Bereiche auf:

Bereich

Use Case

Design und Engineering

Simulationen werden interaktiv von Mitarbeitenden an verschiedenen Standorten durchgeführt und kollaborativ ausgewertet.

Virtual Testing und Validierung

Produkte werden mithilfe synthetischer Daten in fotorealistischen Umgebungen getestet.


Produktion

Geplante Anlagen oder neue Software können in einer bereits bestehenden laufenden Fertigungsumgebung virtuell eingebunden werden.

Betrieb

Arbeitsabläufe und Daten werden im dreidimensionalen Raum visualisiert, Prozesse ferngesteuert oder -gewartet.

Training

Mitarbeitende werden in ungewöhnlichen oder kostspieligen Szenarien, beispielsweise in der chemischen Industrie, geschult, ohne reale Risiken einzugehen.

Bitkom beschreibt das Potenzial des Industrial Metaverse für den Wirtschaftsstandort als enorm. Die Industrie könne über die nahtlose Integration von digitalen und physischen Prozessen in der virtuellen Welt Produktionsabläufe optimieren, effizienter arbeiten und die Qualität ihrer Produkte verbessern. Dabei könne sie ihre Stärken bei der Implementierung von Industrie-4.0-Technologien nutzen und mit deutschen Anbietern von Digitallösungen kooperieren, die ihrerseits bereits eine starke Position in Technologien wie VR, AR, KI oder IoT haben.

Das Industrial Metaverse steht noch am Anfang

Die Technik für die Errichtung eines Industrial Metaverse ist dabei im Wesentlichen aus der Industrie 4.0 bekannt. Neben leistungsfähigen VR- oder AR-Brillen, Sensoren und Trackingsystemen sowie Software zur dreidimensionalen Visualisierung von Echtzeitdaten erfordert das Metaversum stabile und schnelle Internetverbindungen, Edge-Computing für kurze Latenzzeiten und Schnittstellen für die nahtlose Integration von Daten aus unterschiedlichen Quellen wie Sensoren, Maschinensteuerungen oder Unternehmensdatenbanken.

Doch etliche Voraussetzungen sind heute noch nicht zu Genüge erfüllt, angefangen bei den Kosten und der Batterielaufzeiten der AR/VR-Geräte über die Skalierbarkeit der Technologie auf eine hohe Anzahl von Nutzenden und große Datenmengen bis hin zur Einbeziehung vorhandener Anlagen, das sogenannte Brownfield, ins Industrial Metaverse.

Und auch jenseits der Hardware bleiben Herausforderungen. Dazu gehört die Frage, wie Ingenieurinnen und Ingenieure auf natürliche Weise im Metaversum mit technischen Systemen agieren können, oder anders ausgedrückt: wie sich die Technologie den Bedürfnissen des Menschen anpasst und nicht umgekehrt. Entscheidend ist außerdem, ob es gelingt, ein funktionierenden Ökosystems aus Sensoren, Wearables, CAD/CAE-Software, Web-Contents, digitalen Bezahlsysteme und weiteren Bausteinen aufzubauen.

Wie Deutschland bis 2030 zum Leitanbieter wird

Damit Deutschland bis 2030 zum führenden Entwickler, Anbieter und Anwender im Bereich des Industrial Metaverse wird, plädiert Bitkom, als Ergänzung der EU-Initiative Web 4.0, für die Einführung einer deutschen Metaverse-Strategie. Der Aufbau des Industrial Metaverse sollte laut Bitkom von starker Regulierung verschont bleiben, um sich entfalten zu können. XR-Anwendungen sollten rechtssicher eingesetzt werden können, was beispielsweise Fragen des Beschäftigtendatenschutz‘ und der Remote-Arbeit aus dem Ausland betrifft.

Weiterhin empfiehlt der Digitalverband den Aufbau von Standards und Normen, um die Interoperabilität im Metaverse sicherzustellen und die Akzeptanz zu fördern. Forschung im Bereich von Simulations- und immersiven Technologien sowie der User Experience sollte ebenso gefördert werden wie die Entwicklung von Lösungen für System- und Sicherheitsfragen oder für die Visualisierung von 3D-Daten und digitalen Zwillingen. Weiterhin sei es wichtig, die Ziele der Gigabit-Strategie zu erreichen: den Ausbau von Glasfaser und 5G/6G-Netzen mit hoher Datenrate, Sicherheit und Verlässlichkeit.

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