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2024 | Buch

Diversität und Polizei

Perspektiven auf eine Polizei der Vielfalt – konkrete Handlungsoptionen und neue Reflexionsmöglichkeiten

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Über dieses Buch

In dem Buch Diversität und Polizei werden verschiedene Perspektiven auf Vielfalt und Diversität im Kontext der Polizeiarbeit betrachtet. Die Beitragsautor:innen stammen aus dem Polizeialltag und der Wissenschaft. Daher kann dieses Werk wertvolle Erkenntnisse zum Thema Diversität in der Polizei sowohl für die praktische Handlungsebene also auch für wissenschaftliche Reflexionsmöglichkeiten bieten.Die Kapitel des Buches behandeln u.a. Themen wie den Migrationshintergrund als Diversitätsmerkmal bei Polizeianwärter:innen, die Herausforderungen und Chancen der Polizei in einer multiethnischen Gesellschaft, das Potenzial diverser Perspektiven auf illegitime Gewaltanwendung, geschlechtergerechte Sprache in der polizeilichen Kommunikation, die Spannung zwischen Persönlichkeitsrecht und Handhabbarkeit bei Personendurchsuchungen, die Stellung von queeren Personen in der Polizei und die geschlechtergerechte Begleitung von trans-, intergeschlechtlichen und non-binären Personendurch die Polizei sowie die Polizei als wahrgenommener Fluchtort vor der Diversity-Realität.Das Werk liefert damit einen fundierten Einblick in die Vielfaltsthemen innerhalb der Polizeiarbeit. Neben konkreten Handlungsoptionen im Polizeialltag regt es zur neuerlichen Reflexion über Diversität an. Es unterstützt so das Diversity-Management in der Polizei. Mit seinen aktuellen Forschungsergebnissen und den praxisrelevanten Beiträgen ist dieses Werk eine unverzichtbare Ressource für Polizeibeamt:innen als auch Wissenschaftler:innen, die sich mit dem Thema Diversität in der Polizei auseinandersetzen wollen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Polizei auf dem Weg zum „Spiegelbild der Gesellschaft“? Migrationshintergrund als Diversitätsmerkmal innerhalb der Gruppe der Polizeianwärter:innen in NRW
Zusammenfassung
Die Metapher der Polizei als Spiegelbild der Gesellschaft wird u. a. in der Debatte um Diversität aufgegriffen. Der Beitrag setzt sich zum einen theoretisch mit der Bedeutung des Merkmals Migrationshintergrund im Zusammenhang mit Diversität bei der Polizei auseinander. Zum anderen wird anhand einer empirischen Untersuchung an der HSPV NRW der Frage nachgegangen, inwiefern es der Polizei NRW gelingt, Diversität, insbesondere in Hinblick auf das Merkmal Migrationshintergrund, in der Nachwuchsgeneration zu erhöhen und welche Unterschiede hierbei v. a. auch hinsichtlich der Erfahrungen im Studium vorliegen. Im Ergebnis zeigt sich, dass der Anteil von Frauen und Männern unter den Polizeistudierenden fast ausgeglichen ist. Anwärter:innen mit Migrationshintergrund sind hingegen unterrepräsentiert. Ferner wird deutlich, dass nur geringfügige Unterschiede zwischen Befragten mit und ohne Migrationshintergrund vorliegen. In einem Ausblick wird diskutiert, inwiefern das Merkmal Migrationshintergrund – so wie es oft operationalisiert wird – vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen und empirischen Ergebnisse überhaupt geeignet ist, Diversität zu erfassen.
Gina Rosa Wollinger, Juliane Wigh, Judith Heße-Husain, Timo Berse, Henning Staar
„Diversity-Flucht“ in die Polizei!?: Organisationaler Kollektivismus und individuelle Ambiguitätsintoleranz als Hemmnisse für Diversität in der Polizei
Zusammenfassung
Die freie demokratische Gesellschaft der Moderne diversifiziert auf unterschiedliche Weise. Sie ist geprägt von einer pluralen Lebensweise seiner Mitglieder. Alter, Geschlecht, (sexuelle) Identität, ethnische Herkunft und Nationalität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung sowie soziale Herkunft sind heute zu Erkennungs- und Identifikationsmarken der Individuen einer Gesellschaft geworden. Soziologisch gesehen hat sich der vormals gesellschaftliche Kollektivismus dabei weitgehend atomisiert. Nicht mehr Gemeinsamkeit, sondern Unterschiedlichkeit wird zum definitorischen Bestimmungsstück des Individuums. Dieser Individualismus hat zur Folge, dass jeder Einzelne (nicht nur sogenannte marginalisierte Gruppen mit besonderen Merkmalen, zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund) zum Erhalt des eigenen Selbstwertes auf eine möglichst bestätigende Rückmeldung vom sozialen Umfeld bezüglich seiner Individualität angewiesen ist. Das Individuum ist dabei auf sich selbst zurückgeworfen und muss nun im Gegensatz zum vom Kollektiv bereitgestellten Selbstverständnis die Anforderung bewältigen, den individuellen Selbstwerterhalt selbst zu organisieren. Eine mögliche Überforderung kann resultieren. Die Polizei als eine Organisation des (zumindest intern beschworenen) Kollektivismus („Blaulichtfamilie“) mit ihren tradierten Handlungs- und Denklogiken kann dabei als ein möglicher Zufluchtsort jener fungieren, die die Auseinandersetzung mit Diversity (Wir verwenden die Begriffe Vielfalt, Diversität und Diversity synonym.) meiden (wollen), um so gewissermaßen Komplexität zu reduzieren. Psychologisch gesehen lautet daher die Hypothese, dass Individuen mit geringer Komplexitätstoleranz gerade die Polizei zu einem Zufluchtsort für gesellschaftliche Diversity-Vermeider:innen (Für eine geschlechterneutrale Sprache verwenden wir den Gender-Doppelpunkt.) machen, und damit wiederum Diversity-Management innerhalb der Polizei erschweren. Organisationaler Kollektivismus und individuelle Komplexitätsintoleranz stellen somit die Hemmnisse für Maßnahmen des Diversity-Managements in der Polizei dar. Polizist:innen könnten weniger responsiv auf Maßnahmen des Diversity-Managements innerhalb der Polizei sein, was möglicherweise besondere Anstrengungen erforderlich macht. Im vorliegenden Kapitel wollen wir den skizzierten Gedankengang einer Polizei als ein „Anti-Diversity-Ort“ der Gesellschaft ausarbeiten.
Stefan Schade, Susanne vom Hau
Polizei in einer multiethnischen Gesellschaft – Herausforderungen und Chancen
Zusammenfassung
In den letzten Jahrzenten hat sich Deutschland als eines der global wichtigsten Einwanderungsländer etabliert. Die Zuwanderung nach Deutschland schafft eine noch nie dagewesene kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft, die für die polizeiliche Arbeit auf diversen Ebenen bedeutsam ist. So können sich Herausforderungen auf institutioneller Ebene in der Etablierung einer ethnisch diversen Belegschaft, in polizeilichen Einsätzen in transkulturellen Begegnungen und aber auch in der Vermittlung von Kernkompetenzen, wie die der transkulturellen Kompetenz in Aus- und Weiterbildung ergeben. Den möglichen Herausforderungen stehen jedoch auch Chancen gegenüber, die zunehmend gesellschaftlich und wissenschaftlich erkannt werden und in den Fokus rücken. In diesem Beitrag werden zunächst zentrale Herausforderungen der Polizei in einer multiethnischen Gesellschaft ausgearbeitet und anschließend Chancen und mögliche wissenschaftlich fundierte Konzepte zum Umgang mit ethnischer Diversität für verschiedene Polizeiebenen vorgestellt.
Wahiba El-Khechen, Ulrich Walbrühl, Alexander Steinhäuser
Vom Potenzial diverser Perspektiven bei illegitimer Gewaltanwendung: Ein Strange Account
Zusammenfassung
Die vorliegende Autoethnografie nutzt strange accounting in Form einer mehrstufigen Beschreibung, um das Potenzial diverser Perspektiven auf illegitime Gewaltanwendung zu demonstrieren, wenn gesagt werden kann, was nicht gesagt werden darf. In der Analyse zeigt sich innerhalb der „Mauer des Schweigens“ das Reflexionspotenzial eines nicht-moralisierenden Austauschs von Geschichten des Übertretens polizeilicher Befugnisse. Das hier genutzte Format ermöglicht eine urteilsfreie Darstellung abweichenden Verhaltens. Die Abweichung ist dabei selbst Ausdruck polizeilicher Diversität. Während eine Moralisierung von Abweichung routinemäßig auf Personalisierung setzt, eröffnet ein analytischer Zugang Spielräume für Entwicklung.
Mario S. Staller, Swen Koerner, AutorIn X
Schluss damit und mehr davon: Gendern im polizeilichen Sprachgebrauch
Zusammenfassung
Sprache erzeugt Wirklichkeit. Das gilt nicht zuletzt auch für die Frage, wie Personen in sozialen Zusammenhängen/Situationen kommunikativ adressiert werden. Im Kontext der Diskurse um Gender, die mit dem Blick auf die soziale Konstruktion und Reproduktion geschlechterbezogener Vorstellungen inzwischen auch die Polizei und deren wissenschaftliche Begleitreflexion erreicht hat, stehen unterschiedliche Adressierungsformen zur Verfügung. Der Beitrag stellt mit der männlichen, der geschlechtergerechten, der geschlechtsneutralen und der geschlechtssensiblen Form die zentralen Optionen in ihrer Begründungsstruktur vor und plädiert im Anschluss für den Einschluss des darin Ausgeschlossenen: Das Bezeichnen von Personen, im reflexiven Bewusstsein darüber, das Bezeichnungen den Kontext ihrer Unterscheidung stets miterzeugen. Der Beitrag leistet damit Orientierung für den polizeilichen Umgang mit Sprache als Schlüsselmedium der Interaktion und Organisation.
Mario S. Staller, Swen Koerner, Thomas Kronschläger
m/w/d in der polizeilichen Praxis – Zum Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsrecht und Handhabbarkeit am Beispiel der Personendurchsuchung
Zusammenfassung
Polizeiliche Maßnahmen müssen den durch die Grundrechte ausgestalteten verfassungsrechtlichen Rahmen einhalten. Für eine Bewertung ihrer Eingriffsintensität und von Möglichkeiten der Reduzierung der Eingriffsschwere ist eine stetige Auseinandersetzung mit den grundrechtlichen Schutzbereichen und der gesetzlichen Regelung notwendig. Dieser Aufgabe wendet sich der vorliegende Beitrag in Bezug auf Durchsuchungen von Personen zu. Zunächst wird die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG unter besonderer Berücksichtigung des Geschlechts nachvollzogen. Anschließend werden die gesetzlichen Regelungen der polizeilichen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung zur Berücksichtigung des Geschlechts bei der besonders eingriffsintensiven und grundrechtssensiblen Durchsuchung der Person an diesem Maßstab kritisch erörtert und Lösungsansätze für rechtliche Problembereiche erarbeitet.
Martin Klein
Queerness als Herausforderung? Institutionelle Notwendigkeiten und Exklusionen in der Polizeiarbeit
Zusammenfassung
Die Polizei hat in den vergangenen Jahren in Bezug auf Diversität und Vielfalt einige Entwicklungen durchgemacht, so wurde die Sensibilität bezüglich der Exklusions- und Diskriminierungserfahrungen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen erhöht. Auch die Gruppe der LSBTIQ* (Wir benutzen hier meist LSBTIQ*, queer, queere Personen/Menschen und queere Community oder einfach nur Community, hiermit meinen wir alle Personen, die sich jenseits des cis-hetero-binären Spektrums verorten) ist dabei nicht ausgenommen und hat mehr Sichtbarkeit, Akzeptanz und folgend eine Verbesserung der gesetzlichen Lage erfahren. Mit Akzeptanz, sowohl in Gesellschaft als auch in der Polizei, steigt die Sichtbarkeit der Queerfeindlichkeit und die – zurzeit wenig benutzte – Möglichkeit Hassverbrechen und Diskriminierung gegen LSBTIQ* anzuzeigen rückt in den Fokus. Trotz – oder gerade wegen – der erhöhten Sensibilität des öffentlichen Diskurses zu den Belangen der unterschiedlichen Gruppen wird die Frage nach dem Umgang der Polizei mit eben diesen Gruppen laut. Die institutionelle Analyse der Stellung von queeren Personen innerhalb der Polizei sowie der Arbeit der Polizei mit queeren Personen bilden den Fokus des Beitrages. Hierbei ist ein Spannungsfeld – zwischen erwünschter Unterstützung und Exklusion – im Umgang mit queeren Personen innerhalb der Organisation, aber auch im Umgang mit der queeren Community zu erkennen, der teilweise auch auf institutionellen Logiken an der Schnittstelle Polizei und Community zurückzuführen ist.
Tatiana Zimenkova, Verena Molitor
Fortbildungen zur geschlechtergerechten Begleitung von trans-, intergeschlechtlichen und non-binären Personen durch die Polizei
Zusammenfassung
Die Einrichtung einer dritten (vielmehr vierten) Geschlechtskategorie als Personenstand und die zunehmende Sichtbarkeit von trans-, intergeschlechtlichen und non-binären Personen – im Folgenden kurz tin Personen bzw. TIN – führen zu neuen Anforderungen an Mitarbeiter*innen in staatlichen Institutionen. Die Bedeutung von diesen das Geschlecht betreffenden Fragen für Polizeibeamt*innen wird gesellschaftlich unterschätzt und selten thematisiert. Dabei ist der Umgang mit tin Polizeibeamt*innen ebenso wichtig, wie der Umgang mit tin Klient*innen.
Der folgende Beitrag stellt Ergebnisse der Fachtagung „Geschlechtergerechte Begleitung von trans-, intergeschlechtlichen und non-binären Personen durch Verwaltung und Polizei“ an der Hochschule Merseburg (Schneider et al. Durchführung von Fachtagen zur Integration von Inhalten zu Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit in ausgewählte Ausbildungen und Studiengänge der Bereiche Pädagogik/ Soziale Arbeit, Gesundheit/ Medizin/ Pflege, Verwaltung/ Polizei – Abschlussbericht und Ableitungen für Curricula. Hochschule Merseburg, Merseburg, 2021) und aus der Fortbildung von Polizeibeamt*innen im Verwendungsaufstieg der Polizei Sachsen-Anhalts vor.
Zunächst werden einige Grundlagen zu TIN erläutert, daran schließen sich praxisnahe Möglichkeiten der Thematisierungen für den polizeilichen Kontext an (u. a. Besonderheiten bei Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen sowie Festnahmen und Freiheitsentziehungen; Fragen zu Hasskriminalität). Handlungsorientierende Empfehlungen angeschlossen.
Grit Merker, Heinz-Jürgen Voß
Ambivalente Diversität. Eine rassismuskritische Auseinandersetzung
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird aus einer rassismuskritischen Perspektive die Ausgestaltung des Diversity-Konzeptes von ausgewählten Landespolizeien, der Bundespolizei und unterschiedlichen Innenministerien beispielhaft analysiert. Dabei wird die Ambivalenz des Diversity-Ansatzes im Vordergrund stehen. Es wird gezeigt, dass Diversity auch in der Polizei als Humanressource und deren Verwertung betrachtet wird.
Fatoş Atali-Timmer, Kathrin Schroth, Karim Fereidooni
Die Bedeutung des Own-Race Bias für Zeugenaussagen
Zusammenfassung
Eine zentrale Frage der Wahrnehmungspsychologie ist, inwiefern die Wahrnehmung des Menschen von seiner Umwelt geprägt wird, zu der auch die jeweilige kulturelle Lebenswelt gehört. Eine Relevanz für die Polizeiarbeit entfaltet sich hier insbesondere im Hinblick auf die Personenwahrnehmung. Es konnte vielfach nachgewiesen werden, dass Gesichter von Personen, die der eigenen ethnischen Gruppe angehören, mit höherer Wahrscheinlichkeit korrekt identifiziert werden als Gesichter von Personen aus einer fremden ethnischen Gruppe. Dieses Phänomen wird als „own-race bias“ bezeichnet und lässt sich im Wesentlichen als ein solches der visuellen Wahrnehmungsexpertise auffassen, in das aber auch sozial-kognitive und motivationale Faktoren hineinspielen. Besonders mit Blick auf potenziell fälschliche Identifizierungen in Folge unterschiedlicher ethnischer Hintergründe von Augenzeug:innen und Täter:innen ist der own-race bias ein Problem, das im Bewusstsein von Polizeibeamt:innen verankert sein sollte, wenn sie als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft fungieren. Nur in sehr beschränktem Maß lässt sich hier fehlerreduzierend eingreifen, etwa im Hinblick auf die Fairness bei der Auswahl der Vergleichs- bzw. Füllpersonen bei Gegenüberstellungen. Im Übrigen müsste letztlich die Beweiskraft von interethnischen Identifizierungen relativiert werden, solange es keine Kriterien oder Standards gibt, um die Genauigkeit von Personenidentifizierungen gerade in solchen Konstellationen besser abschätzen zu können.
Alexander Steinhäuser, Mathias Hillebrand, Torben Ole Müssing
Interkulturelle Kompetenz und interkulturelles Training im Polizeistudium
Zusammenfassung
„Bürgerorientiert – professionell – rechtsstaatlich“ – so lautet das aktuelle Leitbild der Polizei Nordrhein-Westfalen (NRW). Wer aber sind diese Bürger:innen, an denen sich die Polizei orientieren soll respektive will? Kein anderes Bundesland ist so von Einwanderung geprägt wie NRW. In NRW lebten im Jahr 2021 etwa 17,9 Mio. Menschen, von denen ca. 5,2 Mio. (29,4 %) einen Migrationshintergrund und etwa 2,8 Mio. (15,7 %) eine ausländische Staatsangehörigkeit hatten (Landesbetrieb IT.NRW, 2022). Unter ihnen sind (Spät-)Aussiedler:innen, ehemalige ‚Gastarbeiter:innen‘ und deren Nachkommen, Geflüchtete, Asylsuchende, EU-Angehörige und viele mehr. Bürgerorientierung bedeutet für Polizist:innen dementsprechend auch, sich der kulturellen Diversität in Ausübung des Dienstes bewusst zu sein und dies im beruflichen Handeln zu berücksichtigen. Dafür notwendig ist interkulturelle Kompetenz, die es schon innerhalb des dualen Studiums Polizeivollzugsdienst zu entwickeln gilt. Im Beitrag wird ein näherer Blick auf die derzeitige Umsetzung der Entwicklung interkultureller Kompetenz innerhalb des Polizeistudiums in NRW geworfen und der Frage nachgegangen, inwieweit es einer Weiterentwicklung des Curriculums, ggf. auch des Lehr- bzw. Veranstaltungsformates bedarf, um den Anforderungen der polizeilichen Praxis in einer zunehmend multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft gerecht zu werden.
Alexander Steinhäuser, Frederike Beckmann
Psychische Störungen – ein blinder Fleck von Diversität?
Das Beispiel der Polizei Berlin
Zusammenfassung
Polizist*innen sind aufgrund beruflicher Stressoren nachweislich besonders gefährdet, psychische Störungen zu entwickeln – v. a. Angst-, depressive und posttraumatische Belastungsstörungen. Symptome dieser Störungen sind grundsätzlich veränderbar bzw. ist eine Remission durch Inanspruchnahme von therapeutischen Angeboten möglich. Studien zum Umgang von Polizist*innen mit diesen Störungen zeigen jedoch, dass Betroffene aus Furcht vor Stigmatisierung und negativen beruflichen Konsequenzen während Ausbildung, Studium sowie Berufstätigkeit interne und externe Hilfsangebote gar nicht oder nur mäßig nutzen. Dadurch wird die Chance einer Wiedererlangung ihrer psychischen Stabilität verfehlt. Diese Situation könnte sich verbessern, wenn psychische Störungen als ein weiterer Aspekt von Diversität verstanden werden. Somit würden die Voraussetzungen für ein offeneres Miteinander geschaffen und die Potenziale der Beschäftigten könnten eher zur Geltung gebracht werden. Ebenso bringt eine Anerkennung dieses Diversitätsaspektes konkrete Gewinne im Umgang der Polizei mit psychisch auffälligen Menschen mit sich.
Marisa Przyrembel, Birgitta Sticher
Fehler machen die anderen. Diversität als Bedingung und Herausforderung einer positiven Fehlerkultur
Zusammenfassung
Die Fehlerkultur in den Polizeien in Deutschland ist aufgrund unterschiedlicher Skandale und Enthüllungen in den letzten Jahren wieder stärker medial thematisiert worden. Dabei wird häufig infrage gestellt, dass es eine konstruktive Fehlerkultur in den Polizeien gibt. Wie eine solche Fehlerkultur etabliert werden kann, ist Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses und wird zunehmend aus sozialwissenschaftlicher, juristischer und polizeilicher Perspektive beleuchtet. In diesem Beitrag stelle ich die These auf, dass die Marginalisierung der aggressiven Polizeimännlichkeit eine wichtige Gelingensbedingung für die Etablierung einer konstruktiven Fehlerkultur in der Polizei darstellt. Anhand der Konfrontation der etablierten und als kulturelle Grundgewissheit zumeist nicht hinterfragbaren (Geschlechter-)Ordnung durch die Dimension Diversität und die Herausbildung von Diversity-Kompetenz zeige ich einen Weg auf, tradierte Muster aufzubrechen und infrage zu stellen. Diversität in unterschiedlichen Kategorien ist eng verbunden mit Vielfalt in Normen, Werten und der Bewertung von Situationen und Handlungsmöglichkeiten. Diversity-Kompetenz hingegen fördert das Aushalten der Erfahrung von Fremdheiten und Unsicherheiten, was mit gesteigerter Diversität einhergehen kann. Vielfalt kann so als Chance verstanden werden, den reflexhaften destruktiven Umgang mit Fehlern zu irritieren und bietet die Möglichkeit, eine Fehlerkultur zu entwickeln, in welcher mit Fehlern konstruktiv umgegangen und über Fehler gesprochen werden kann.
Kai Seidensticker
Diverse Daten, nicht-diskriminierende Algorithmen: Die Relevanz von Diversität im Rahmen der Datafizierung der Polizei
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird der Zusammenhang von Polizei und Diversität auf technischer Ebene diskutiert. Genauer gesagt wird die Relevanz von Diversität in der seit einiger Zeit beobachtbaren Datafizierung polizeilicher Arbeit aufgezeigt. Die Datafizierung der Polizei, wie sie spätestens mit der Nutzung von polizeilicher Prognosesoftware eine neue Qualität erreicht hat, da die algorithmische Rolle polizeilicher Wissensproduktion damit mehr Raum gewinnt wird, findet gegenwärtig u. a. mit der zunehmenden Nutzung von Datenintegrations- und -analyseplattformen der US-Firma Palantir Technologies, z. B. von den Polizeien in Hessen, NRW und Bayern, ihren (bisherigen) Höhepunkt. Vor diesem Hintergrund rückt die Frage in den Vordergrund, welche Art von Daten der Polizei zur Verfügung stehen und welche Qualität sowie mögliche Verzerrungen sie besitzen. Dies gilt auch für die, neben den Daten, zweite konstitutive Einheit der Datafizierung, die der Algorithmen. Auch diese gilt es dahingehend zu prüfen, welche Verzerrungen sie aufweisen und welche Prämissen über Kriminalität in sie eingeschrieben sind.
Simon Egbert
Strange Accounts: Verfremdete Darstellungen als Potenzial in der Polizeiforschung
Zusammenfassung
Strange accounts sind verfremdete Beschreibungen von Beobachtungen, welche jüngst als wissenschaftliche Methode Einzug in die qualitative Forschung gehalten haben. Indem Schlüsselinformationen über Situationen und/oder Personen ungeklärt, mehrdeutig, ausgelassen und damit „im Spiel“ gehalten werden, ermöglicht das strange accounting die wissenschaftliche Bearbeitung von Situationen und Handlungen, die schambehaftet, als Geheimnisse, bedrohlich oder anderweitig als problematisch wahrgenommen werden können. Damit besitzen strange accounts das Potenzial, Aspekte polizeilicher Systeme aus der Latenz zu holen und einer Bearbeitung zuzuführen, deren Beobachtung anderweitig an systemfunktionalen Abwehrmechanismen scheitern. Der Beitrag beschreibt die Methodik des strange accountings und legt Überlegungen zu den Potenzialen dar. Wir schließen mit einer kurzen Diskussion zum Umgang mit forschungsmethodischer Transparenz und der Verortung in einer modernen Forschungsethik.
Mario S. Staller, Swen Koerner
Zwischen Einfalt und Vielfalt: Systemtheoretische Überlegen zu Diversität im System der Polizei
Zusammenfassung
Die Diversity-Debatte trifft die Polizei an neuralgischen Punkten. Die Polizei hat Probleme im Umgang mit diversen „Mensch“-Kategorien. Wie Forschungsdaten zeigen, haben Schwule, Frauen und People of Color in der Polizei einen schweren Stand. Gesellschaftlich ist dieser Zustand nicht länger tragbar. Der Beitrag stellt dem moralischen und rechtlichen Druck der Diversity-Debatte eine theoretische Fundierung an die Seite. Im Lichte der Systemtheorie im Anschluss an Niklas Luhmann erscheint Diversität a) sozial als kommunikative Relevanzmarkierung von Menschen im System der Polizei, b) sachlich als Voraussetzung und Folge moderner Gesellschaftsdifferenzierung und c) zeitlich als Ergebnis differenzbasierter Kommunikation, die hervorbringt, was sie bezeichnet. Aktuell setzt die Polizei noch an vielen Stellen auf Einfalt. Inwiefern die Polizei Diversität nach dieser Maßgabe funktionalisiert, oder umgekehrt eine Umstellung von Einfalt auf soziale und sachliche Vielfalt erfolgen wird, ist gegenwärtig nicht absehbar.
Swen Koerner, Mario S. Staller
Metadaten
Titel
Diversität und Polizei
herausgegeben von
Mario S. Staller
Swen Koerner
Copyright-Jahr
2024
Electronic ISBN
978-3-658-42565-4
Print ISBN
978-3-658-42564-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-42565-4

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